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Implementierung einer Systematik zur Messung der Liefertreue für die objektive Beurteilung von Lieferanten

[07.11.2003]

Foto: sveta / fotolia.com
Liefertreue und bestandsarme Produktionssysteme sind in aller Munde, bei näherer Betrachtung stellt man allerdings fest, dass Planwerte in der Praxis nur selten erreicht werden. Die beiden Einflussfaktoren Vorhersagegüte der Lieferabrufe sowie die Liefertreue bestimmen dabei maßgeblich, ob die Sollbestände im Werk erreicht werden können und in welcher Höhe Bestandsreichweiten um Sicherheitszuschläge erhöht werden müssen. Dabei führen Überbestände nicht nur zu höheren Kapitalbindungskosten, sie belegen auch unnötig Flächen in Lager und Produktion. Unterbestände resultieren in zusätzlichen Prozesskosten bei der Materialdisposition beziehungsweise verursachen erhöhte Logistikkosten für Sondertransporte.

Im Zuge der Einführung von bestandsarmen Produktionssystemen haben Unternehmen kostenoptimale Reichweiten für Bestände an Fertigprodukten, Halbfertigprodukten sowie an Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen definiert. Ziel dieser Reichweiten sind unter anderem die Abdeckung von Verbrauchsschwankungen, Lieferunsicherheiten und Qualitätsproblemen sowie die Senkung der Kapitalbindungskosten. In der Praxis zeigt sich aber leider, dass sich aufgrund einer Vielzahl von Einflussfaktoren Bestandsniveaus ergeben, die deutlich von den definierten Reichweitenrichtlinien abweichen. Bei dem untersuchten Unternehmen ergaben sich als Ausgangsbasis Bestandspositionen, die teilweise um das zehnfache höher waren, als es die Vorgaben der Materialdisposition vorsahen. Bei anderen Teilen sah das Bild genau anders aus, regelmäßig wurden Lieferteile aufgrund von Fehlmengen per Sondertransport ins Werk geholt, um die Versorgung der Produktion sicherzustellen oder Nachrüstaktionen in Kauf genommen.

Bei der Untersuchung der Ursachen für die teilweise erheblichen Abweichungen von den vorgegebenen Bestandsreichweiten konnte man zwischen internen und externen Einflussfaktoren unterscheiden. Interne Faktoren bezogen sich primär auf die Güter der Informationen zur Prognose der zukünftigen Bedarfsmengen. Externe Faktoren spiegelten sich überwiegend in der Liefertermin- und Liefermengentreue wider. Das untersuchte Unternehmen bestellt mittels einer auf dem Produktionsprogramm basierenden Abrufsystematik in der Regel einmal pro Woche, bei besonders wichtigen Teilen täglich, bei seinen Lieferanten die benötigten Teile. Darüber hinaus übermittelt das Unternehmen seinen Lieferanten eine Vorschau der voraussichtlichen Bedarfsmengen für die nächsten Wochen im voraus. Bei der Analyse bezüglich der Güte der Prognosemengen stellte man fest, dass die zwei bis drei Wochen im voraus prognostizierten Abrufmengen bei den werthaltigen Lieferteilen im Schnitt ca. 50% von den verbindlichen Abrufen abwichen. Diese Ungenauigkeiten führten dazu, dass Lieferanten nicht mehr kurzfristig ihre auf den Prognosedaten des Kunden basierenden Produktionsprogramme veränderten. Externe Faktoren hatten primär den Einfluss, dass einige Lieferanten sich auf Kosten des Unternehmens optimierten, indem sie ihre Fertigwaren nach eigenen Vorstellung versandten oder Spediteure nicht die vertraglich vereinbarten Transportkapazitäten zur Verfügung stellten. Dies alles war möglich, weil innerhalb des Unternehmens die Bestände anhand von Mindestmengen überprüft wurden, d.h. solange Sicherheitsbestände nicht unterschritten wurden, wurde der Materialdisponent nicht automatisch von seinen EDV-Systemen gewarnt. Ein Abgleich von Bestell- und Liefermengen wurde nicht automatisch durchgeführt und war nur mit einem hohen manuellen Aufwand durch die Auswertung von Daten aus unterschiedlichen Datenbanken möglich.

Aufbauend auf der Erkenntnissen der internen und externen Einflussfaktoren wurde ein System zur Messung der Liefertreue entwickelt, das die in unterschiedlichen IT-Systemen vorhandenen Daten mit dem Ziel zusammenfasst, die Liefertreue und die Prognosegenauigkeit gemeinsam zu messen. Durch die systematische Erfassung von Abweichungen in den Bedarfsvorschauen konnten Fehler in der Bedarfsplanung ermittelt werden und somit die Güte der Vorhersagen deutlich erhöht werden. Mit einer automatischen Messung der Liefertreue kann jetzt aufwandsarm ermittelt werden, wann sich Über- oder Unterbestände durch verschulden des Lieferanten ergeben haben. Auf der Basis von automatisch generierten Problemlisten werden nun kontinuierlich Lieferantenworkshops zur Diskussion der Lieferprobleme durchgeführt. Durch die Auswertungen von Vorhersage-, Bestell- und realen Liefermengen ist es aufwandsarm möglich, objektive Daten als Grundlagen für die Gespräche zu generieren. Ebenso dienen die Daten des Systems dazu, die Transportkosten für Sondertransporte, die durch Unterbeständen verursacht werden, an die Lieferanten weiterzuberechnen, die sich nicht an die vereinbarten Mengen oder Termine halten.

Weitere Funktionen des Systems sind die Messung von Bedarfsschwankungen zur Definition von bedarfsorientierten Bestandsreichweitenrichtlinien sowie zur Auswahl einer geeigneten Dispositionsmethode. Damit dient das Tool dem Materialdisponenten als zentrales Cockpit, mit dem er sich in kürzester Zeit einen Überblick über die aktuelle Situation sowie die Historie der Lieferbeziehungen auf unterschiedlichen Aggregationsebene verschaffen kann.

Als Ergebnis der Einführung des IT-Tools und der Systematik zur Messung der Liefertreue und der Prognosegenauigkeit konnte bei den werthaltigen Gütern die Einhaltung der Richtlinien für die Bestandsreichweiten sichergestellt werden oder die Reichweitenrichtlinien teilweise sogar gesenkt werden. Dabei wurden Bestandspotenziale bei Überbeständen von bis zu 90% realisiert, die sich auch in der deutlichen entspannten Situation der nur begrenzt vorhandenen Lagerflächen deutlich machten. Durchschnittlich konnte bei den umgesetzten Baugruppen Bestandspotenziale von ca. 20% erreicht werden. Zusätzlich wurde der Prozessaufwand der Materialdisposition für das Eingreifen bei Unterbeständen sowie die Logistikkosten bei Sonderlieferungen auf teilweise null gesenkt.

Weiterführende Literatur:

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