[27.02.2003]
Den wertvollen Kunden entdecken
Bevor Kundenbeziehungen gestaltet werden können, ist zunächst einmal die Frage zu beantworten, wer ist eigentlich der Kunde. Der herkömmliche Kundenbegriff beinhaltet ausschließlich den aktuellen Kunden. Ein erweitertes Kundenverständnis integriert ehemalige und potenzielle Kunden. Um selektiv und individuell die Kunden zu behandeln, ist es nötig, den Kundenwert zu kennen. Hierbei bietet sich die Anwendung einer Customer-Lifetime-Value-Rechnung an. Beziehungskosten fallen bei Kundenakquisition (Werbung, IT-Infrastruktur etc.) und Kundenerhaltung (z. B. für Kundenloyalitätsprogramme, Kundenclubs) an. Beziehungserlöse verhalten sich im Allgemeinen nach einer klassischen Lebenszyklus-Kurve. Der Kundenbeziehungslebenszyklus kann dabei in drei Kernphasen unterteilt werden: Kundenakquisition, Kundenbindung und Kundenrückgewinnung. Zur Verlängerung des Lebenszyklus kann beispielsweise gezielt ein Beschwerdemanagement eingesetzt werden. Der Customer-Lifetime-Value errechnet sich aus der Gegenüberstellung der Kosten und Erlöse, die mit einem unternehmensinternen Zinsfuß auf den Gegenwartswert abgezinst werden. Die Berechnung kann vergangenheitsbezogenen, zukunftsbezogenen oder auch durch Kombination beider Verfahren erfolgen. Allerdings reicht es meist nicht aus, ausschließlich monetäre Größen anzusetzen. Zu betrachten sind außerdem Cross-Selling-, Loyalität-, Kooperation-, Referenz- und Wissens-Potenziale der Beziehung.
Kundenbedürfnisse ermitteln
Die Kundenbedürfnisse tendieren zu einem Komplettlösungsangebot, das neben dem Kernprodukt den individuellen Einsatz von Service, Logistik, Wissen und E-Technologien enthält. Eine Individualisierung von Beziehungen bedeutet, dass der Kunde in der Regel zu integrieren ist, um überhaupt seine beziehungsspezifischen Präferenzen und Bedürfnisse identifizieren zu können. Darüber hinaus ist der Kunde als "Co-Produzent" direkt in den Leistungserstellungsprozess zu integrieren; der Kunde kann unmittelbar Einfluss auf das Leistungsergebnis nehmen. Als Methoden zur Ermittlung von Kundenbedürfnissen können Kreativitätstechniken, die Produktklinik, ein Bilaterales Benchmarking oder die Conjoint-Analyse eingesetzt werden. Die Grundannahme der Conjoint-Analyse liegt darin, dass Produkte und Dienstleistungen sich als Bündel von nutzenstiftenden Attributen auffassen lassen. In der realen Kaufsituation entscheidet der Kunde nie allein aufgrund des Preises oder der Leistung: Er wägt Preis und wahrgenommenen Nutzen der Leistung gegeneinander ab. Diese Abwägung steht bei der Conjoint-Analyse im Mittelpunkt der Betrachtung, indem ein Gesamturteil über einzelne Objekte abgegeben wird. Dadurch hofft man, die typischen Mängel einer direkten Befragung zu vermeiden. Bei der direkten Befragung von Personen nach einzelnen Produkteigenschaften entscheidet sich die Testperson immer für die beste Ausprägung eines Merkmals, ohne das Zusammenwirken mit den anderen Produktmerkmalen zu berücksichtigen. Die Conjoint-Analyse ist somit ein Verfahren, das auf der Grundlage empirisch erhobener Gesamtnutzenwerte den Beitrag der einzelnen Komponenten zum Gesamtnutzen ermittelt. Durch Einsatz der Conjoint-Analyse kann Wissen über die Kundenbedürfnisse generiert werden. Zur systematischen und profitablen Umsetzung der Kundenanforderungen ist ein integrativer Einsatz von Methoden wie Quality Function Deployment, Target Costing, Reverse Engineering und Service Engineering vorzunehmen.
Eine weitere Möglichkeit, Wissen über die Kundenbedürfnisse zu erlangen, ist die systematische Aufzeichnung von Kundenkontakten und -reaktionen sowie die Auswertung zur kontinuierlichen Optimierung der kundenbezogenen Geschäftsprozesse im Rahmen eines Data Warehouse. Dieses ist Bestandteil eines umfassenden CRM-Systems und beinhaltet alle Funktionen vom Datenzugriff über die Datenerhaltung in Datenbanken bis zur Bereitstellung der geeigneten Aufbereitungsform. Customer Relationship Management kann als eine kundenorientierte Unternehmensphilosopie verstanden werden, die mit Hilfe moderner Informations- und Kommunikationstechnologien, auf lange Sicht profitable Kundenbeziehungen durch ganzheitliche und differenzierte Marketing-, Vertriebs- und Servicekonzepte aufbaut und festigt. Dies erfordert den Einsatz von integrierten Informationssystemen. Nur die Zusammenführung aller kundenbezogenen Informationen und die Synchronisation aller Kommunikationskanäle erlauben eine ganzheitliche Abbildung des Kunden und somit auch eine differenzierte Kundenansprache.
Als Aufgabenbereiche des CRM-Systems können analytisches, operatives und kommunikatives CRM unterschieden werden. Im analytischen CRM werden Kundenkontakte und Kundenreaktionen systematisch aufgezeichnet und zur kontinuierlichen Optimierung der kundenbezogenen Geschäftsprozesse ausgewertet. CRM stellt damit ein Instrument zur Entwicklung von Learning Relationships dar. Die Zusammenführung aller kundenbezogenen Informationen erfolgt in einem Customer Data Warehouse, dessen Aufgabe darin besteht, Kundendaten aus den unterschiedlichen Quellen in eine einheitliche Systemumgebung zu integrieren. Beim Data Mining werden die Daten mit automatisierten Methoden nach neuen und handlungsrelevanten Geschäftserfahrungen durchsucht. Das operative CRM umfasst alle Anwendungen, die im direkten Kontakt mit dem Kunden stehen (Front Office). Lösungen zur Marketing-, Sales- und Service-Automation unterstützen den Dialog mit dem Kunden, die individuelle Leistungserbringung sowie die hierzu erforderlichen Geschäftsprozesse. Um den Kunden verlässliche Aussagen z.B. über Liefertermin und Verfügbarkeit machen zu können, muss das operative CRM an vorhandene Back-Office-Lösungen (Enterprise Resource Planning, Supply Chain Management) angebunden werden. Das kommunikative CRM umfasst die gesamte Steuerung und Unterstützung sowie die Synchronisation aller Kommunikationskanäle zum Kunden (Telefon, Internet, E-Mail, Mailings, Außendienst). Von besonderer Bedeutung ist dabei der zielgerichtete und abgestimmte Einsatz. Eine zentrale Rolle kommt dabei dem Customer Interaction Center als multimedialer Kommunikationsschnittstelle zu.
Kundenbindung aufbauen
Um Kundenbindung zu erreichen, sind grundsätzlich zwei Strategien denkbar. Zum einen kann im Rahmen einer Gebundenheitsstrategie der Kunde durch Einschränkung seiner Freiheit gebunden werden: durch Aufbau von Wechselbarrieren. Zum anderen kann der Anbieter bei der Kundenzufriedenheit ansetzen und somit beim Kunden eine Verbundenheit erzeugen, die ihn dazu bewegt, sich freiwillig zu binden. Kundenzufriedenheit entsteht durch einen Vergleichsprozess: Kunden bilden sich vor dem Kauf der Produkte oder Dienstleistungen bestimmte Erwartungen. Die wahrgenommenen Leistungen werden dann mit den erwarteten verglichen; werden diese nicht erfüllt, entsteht Unzufriedenheit. Die Erwartungen des Kunden werden in erster Linie von persönlichen Bedürfnissen geprägt. Das Produkt dient zur Lösung funktioneller oder psychosozialer Probleme und hat einen instrumentellen Charakter. Die angenommene Tauglichkeit eines bestimmten Produktes zur Lösung dieser Probleme bestimmt die Erwartung an das Produkt oder die Dienstleistung. Außerdem wird die Erwartung eines Kunden beeinflusst von seinen früheren Erfahrungen mit diesem oder ähnlichen Produkten oder Dienstleistungen und schließlich beeinflussen auch Meinungen und Empfehlungen von Freunden oder Bekannten sowie die Marketingkommunikation des Anbieters die Erwartungshaltung des Kunden. Kundenzufriedenheit ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für Kundenbindung. Emotionale Komponenten erzeugen Vertrauen, Commitment und Loyalität und unterstützen die Kundenbindung.
Literatur zum Thema: Leitfaden Kundenbeziehungsmanagement
Der Leitfaden "Kundenbeziehungsmanagement" zeigt die Gestaltung, den Methodeneinsatz und die Umsetzung eines Kundenbeziehungsmanagements, das auf den Leitlinien Kundenkenntnis, -orientierung, -individualisierung und -integration basiert. Die Ausgestaltung erfolgt insbesondere durch einen wissensbasierten Einsatz von Service, Logistik und E-Technologien. Die umfassende Darstellung der einzusetzenden Methoden und eine detaillierte Anleitung zur Umsetzung hilft dem Praktiker bei der Optimierung oder Einführung eines Kundenbeziehungsmanagements. Der Leitfaden eignet sich zur Schulung und zum Selbststudium.
Weiterführende Literatur:
Seminare und Arbeitskreise: