[15.07.2008]
Die Finanzdienstleistungsbranche und insbesondere das traditionelle Privatkundensegment verzeichnet in den letzten Jahren eine zunehmende Verschärfung des Wettbewerbs. Dies liegt zum einen an in den deutschen Bankenmarkt vordringenden Direktbanken, deren primäres Differenzierungsmerkmal in erster Linie auf der Gestaltung kostengünstiger Produkte und nicht auf einer hochwertigen Beratungsqualität basiert. In Kombination mit einer zunehmenden Standardisierung von Bankprodukten sowie einer gesteigerten Konditionssensibilität der Kunden gewinnen Direktbanken verstärkt Marktanteile zulasten der traditionellen Filialbanken. Waren zunächst nur Standardprodukte wie das kostenlose Online-Girokonto betroffen, so weiten diese Banken Ihre Produktpalette nun auch auf komplexere Prozesse wie die private Wohnbaufinanzierung aus und greifen die etablierten Banken auch in deren traditionellem beratungsintensiven Geschäft an. Zum anderen verstärkt eine rückläufige Zinsstrukturkurve die negative Ertragsentwicklung in der Finanzdienstleistungsbranche. Die zunehmende Konditionssensibilität der Kunden, die Ausweitung der Konkurrenzprodukte auf nicht-standardisierte Produkte sowie die allgemeine Ertragsschwäche erfordern von den traditionellen Filialbanken nun Anstrengungen hinsichtlich einer Optimierung der Produktionskosten, um langfristig erfolgreich im Wettbewerb bestehen zu können.
Im Rahmen eines Projekts bei einem bundesweit agierenden Verbund an Kreditinstituten wurden vor diesem Hintergrund zehn Kerngeschäftsprozesse bei 18 beteiligten Pilotbanken einer detaillierten Analyse unterzogen, um Effizienzsteigerungspotenziale zu identifizieren und im gesamten Verbund zu realisieren. Leitlinie des Projekts stellte hierbei die kundenorientierte Optimierung der Geschäftsprozesse zur Stärkung der Eigenproduktion in den Filialbanken dar. Aufgrund der tendenziell höheren Margen aus dem Zins- im Vergleich zum Provisionsgeschäft sollten insbesondere Lösungen gefunden werden, die es den Banken erlauben, das Geschäft komplett in Eigenregie ohne die Beteilung von Vermittlungspartnern abzuwickeln. Aufbauend auf dem obersten Zielkriterium der Kundenorientierung wurden die Geschäftsprozesse vom ersten Kundenkontakt in der Filiale oder am Telefon bis zur Auszahlung der Darlehenssumme oder der Durchführung und Dokumentation einer Wertpapierorder analysiert und optimiert.
Einen wesentlichen Effizienzhebel stellte dabei die Bildung von Prozessvarianten dar, um bestimmte Typen an einfachen und sich wiederholenden Kundenanfragen standardisiert und kosteneffizient abwickeln zu können. Zur Bildung und Unterscheidung der entsprechenden Varianten ist es darüber hinaus erforderlich, Segmentierungskriterien zu definieren, anhand derer die Prozessvarianten unterschieden werden können.
Eine klassische Abgrenzung von Prozessvarianten im Bereich der Kreditprozesse stellt beispielsweise die Abgrenzung von risiko-relevanten und nicht risiko-relevanten Kreditvorgängen dar. Die Grundlage zur Abgrenzung der Varianten stellen dabei die Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) dar.
Während das nicht risiko-relevante Geschäft wie beispielsweise der private Konsumentenkredit fallabschließend vom Mitarbeiter am Markt entschieden und mittels entsprechender IT-Unterstützung auch bearbeitet werden kann, kann es im Bereich einer privaten Wohnbaufinanzierung sowohl nicht-risikorelevante als auch risiko-relevante Kreditvorgänge geben. In diesem Fall ist eine Prozessvariante zu definieren, die es dem Kundenberater ermöglicht, eine Wohnbaufinanzierung fallabschließend am Markt zu bearbeiten. Verfügen Kunden beispielsweise über eine ausreichend positive Bonität, ist das Darlehen bis zu einer bestimmten Grenze mit Sicherheiten hinterlegt und ist auch das bisherige Kontoführungsverhalten eines Kunden positiv zu beurteilen, so kann der Marktmitarbeiter auch Darlehen im Bereich einiger Hunderttausendeuro in Einzelkompetenz beurteilen und unterscheiden. Ein wesentlicher Vorteil in dieser Art der Bearbeitung liegt darin, dass der Kunde bei Vorliegen aller erforderlichen Unterlagen innerhalb des ersten Gesprächs in der Bank eine Zusage der Bank bekommen kann und so unter Umständen nicht durch die Einholung weiterer Angebote von Konkurrenzbanken niedrigere Zinsen fordert und das Geschäft im Extremfall sogar bei einem Konkurrenzinstitut abschließt. Die klassische Variante im risiko-relevanten Bereich sieht weiterhin eine Bearbeitung und Entscheidung der Kreditanfrage in Gemeinschaftskompetenz zwischen Markt und Marktfolge vor. Die risiko-orientierten Abwägungen wiegen in diesen Fällen die Effizienzgewinne einer alleinigen Entscheidung durch den Markt auf. Eine weitere Variante speziell im Kreditgeschäft stellt die Gestaltung einer Zusatzfinanzierung bis zu einer bestimmten Höhe bei bereits genehmigten Kreditengagements dar. Durch diese Variante kann bestimmten, bereits einmal für kreditwürdig befundenen Kunden, schnell und ohne großen Aufwand ein gewisser Betrag zusätzlich zu der bereits zugesagten Kreditlinie gewährt werden.
Ergebnis der Bildung von Prozessvarianten stellen Bearbeitungszeitvorteile im Vergleich der aufwandsintensiven und aufwandsarmen Varianten von bis zu 50% dar. Übertragen auf das gesamte Kreditportfolio einer durchschnittlichen Filialbank kann die Einführung von Prozessvarianten zu durchschnittlichen Effizienzvorteilen von 15% bis 20% führen. Insbesondere im Kreditgeschäft ist die Grenze zwischen risiko-relevantem und nicht risiko-relevantem Kreditgeschäft jedoch entsprechend der individuellen Risikotragfähigkeit eines jeden Instituts zu ziehen, um so die Risikoposition einer Bank nicht nachhaltig zu verschlechtern.