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Politische Rahmenbedingungen für den globalen Erfolg Grüner Technologien am Beispiel Grüner Reifen

[08.05.2012]

Foto: alphaspirit / fotolia.com

Steigende Kraftstoffpreise und neue Gesetze zur Steigerung der Energieeffizienz führen zu einer Neuausrichtung im Mobilitätsmarkt. Der Markt für Automobilreifen ist aufgrund der anspruchsvollen gesetzlichen Anforderungen von der Markttransformation direkt betroffen. Industrieländer, Schwellenländer und Entwicklungsländer weisen starke Unterschiede in ihren Rahmenbedingungen der Markttransformation auf. Eine differenzierte Analyse der Einflussgrößen, Erfolgsfaktoren und Barrieren der Diffusion Grüner Reifen in die relevanten Märkte außerhalb Europas stellt für die Kautschuk- und Reifenindustrie einen zentralen Erfolgsfaktor dar.

Politische Rahmenbedingungen als Enabler Grüner Technologien in Europa

Die Märkte der traditionellen Industriestaaten in Europa haben eine lange Entwicklungsgeschichte durchlaufen und besitzen heute für viele Branchen und Produktgruppen einen hohen Reifegrad und eine hohe Sättigung. Die Reifen- und Kautschukindustrie ist als traditionsreiche Branche von der hohen Marktsättigung in den Industrienationen direkt betroffen. Als Besonderheit zeichnet sich die Reifenbranche durch eine hohe Technologie- und Innovationsdynamik sowie eine Vielzahl an Stakeholdern mit einem hohen Anspruchsniveau an die Produktleistung aus. Die hohe Leistungs­fähigkeit von Reifen in den drei zentralen Zieldimensionen Nasshaftung, Rollwiderstand und Langlebigkeit sind auf die kontinuierliche Innovationsleistung der namhaften Reifenhersteller zurückzuführen. Die hohen Investitionen in die technische Weiterentwicklung von Reifen werden einerseits durch die kundenseitigen Anforderungen vorangetrieben. Andererseits führen staatliche Normen zu einer kontinuierlichen Verschärfung der Mindestanforderungen an die technische Leistungsfähigkeit von Reifen. Neben ökonomischen Treibern treten heute ökologische Ziel­setzungen als zentrale Einflussgrößen der Marktentwicklung in den Vordergrund. Steigende Preise für fossile Brennstoffe, politische Bestrebungen vieler Länder zur Reduktion von Treibhausgasen und das wachsende ökologische Bewusstsein der Bevölkerung führen zu einer nachhaltigen Markt­transformation in vielen Branchen hin zu Grünen Produkten. Viele Reifenhersteller sehen in den aufstrebenden Märkten der Schwellenländer und Entwicklungsländer eine Chance zur Umsetzung einer langfristigen Wachstumsstrategie durch Grüne Produkte als Ausweg aus den gesättigten Märkten in Europa.

Die asiatischen Leitmärkte für Grüne Technologien

Die asiatischen Industrienationen Japan und Südkorea sind von einem starken politischen Handlungsdruck zur Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks gekennzeichnet. In der japanischen Politik stellen ökologische Zielsetzungen bereits seit langer Zeit eine zentrale Handlungs­maxime dar. Es wurden strikte Vorgaben zur Reduzierung der Umweltbelastung durchgesetzt und komplexe Maßnahmenbündel beschlossen, die sich aus regulativen Instrumenten, ökonomischen Anreizsystemen und informellen Verfahren zusammensetzen. Die inein­ander­greifenden politischen Instrumente und Restriktionen haben zu einer hohen Marktakzeptanz Grüner Produkte und einem hohen Umweltbewusstsein der Bevölkerung geführt. Der hohe Einkommens­durchschnitt und die hohe Preisakzeptanz verstärken diesen Effekt. Japans Reifenmarkt wird so zu einem Leitmarkt für Grüne Reifen. Die 2008 erfolgte Einführung eines zu 97% aus erneuerbaren Rohstoffen bestehenden Autoreifens belegt die hohe Effizienz der japanischen Umweltpolitik.

Südkorea weist eine noch ambitioniertere Umweltpolitik auf und nimmt eine weltweite Spitzenposition im Bezug auf die Umsetzung ökologischer Zielsetzungen ein. Dies wird auch an der Zusammensetzung des Konjunkturprogramms deutlich: Während Deutschland 13,8% seines Konjunkturprogramms für klimarelevante Projekte aufwendet, plant die koreanische Regierung Ausgaben in Höhe von 80,5% des gesamten Konjunkturprogramms für umweltrelevante Projekte ein. Damit übertrifft Südkorea alle Staaten Europas. Mit dem im Januar 2009 beschlossenen „New Green Deal“ wurden für den Zeitraum der nächsten 4 Jahre über 28 Mrd. EUR für eine Grüne Ausrichtung der koreanischen Wirtschaft bewilligt. Das Konjunkturprogramm teilt sich in 9 Haupt- und 27 Nebenprojekte auf und gilt als das ambitionierteste politische Umweltprogramm weltweit. Der Fokus der koreanischen Umweltpolitik liegt auf der Förderung sauberer Energieträger und der nachhaltigen Senkung von CO2- Emissionen. Der Ausbau eines ökologisch orientierten Straßen- und Schienen­netzes mit landesweiten Fahrradwegen, erweiterten Schnellbusnetzen in urbanen Ballungszentren und der vermehrte Einsatz von Erdgasfahrzeugen wird vorangetrieben. Die Weiterentwicklung umweltfreundlicher Automobile und Automobilkomponenten kommt eine zentrale Bedeutung innerhalb der Förderprojekte zu, woraus eine wichtige Chance für eine beschleunigte Diffusion Grüner Reifen entstehen wird.

Dezentralisierung der Gesetzgebung als Marktbarriere Grüner Technologien

Auch den USA wird eine aktive Rolle bei der Umsetzung umweltpolitischer Zielsetzungen und grüner Innovationen zugesprochen. Doch das wechselseitige Zusammenspiel zwischen Markt und Politik weist grundlegende Unterschiede von dem europäischen Modell auf. An die Stelle der zentral koordinierten politischen Maßnahmen zur Reduktion von Treibhausgasen tritt in den USA eine dezentrale Umsetzungsstrategie ökologischer Maßnahmen. Die ökonomischen und politischen Treiber Grüner Technologien sind auf der lokalen Ebene einzelner Bundesstaaten angesiedelt. Viele Bundesstaaten verfolgen eine strikte Strategie zur ökologischen Neuausrichtung der Wirtschaft, in deren Rahmen etliche Gesetze für den Umweltschutz und die Reduktion von Treibhausgasen durchgesetzt werden konnten. Das überproportionale Wachstum Grüner Branchen wird durch die hohe Investitionsbereitschaft der amerikanischen Finanzmärkte beschleunigt. Die Umsetzung neuer Gesetzesentwürfe zur Reduzierung von Treibhausgasen und zur Förderung Grüner Innovationen hat zu einem rapiden Anstieg der Investitionen in Unternehmen Grüner Branchen geführt. Die hohe Risikobereitschaft der Investoren bietet eine große Chance für den Grünen Automobil- und Reifenmarkt. Die mangelhafte Harmonisierung der dezentralen ökologischen Bestrebungen auf Länderebene durch die zentralen politischen Organe der amerikanischen Regierung erweist sich hingegen als größte Hürde für eine effiziente Förderung der Grünen Märkte innerhalb der USA. Durch die kritische Finanzlage des amerikanischen Staatshaushalts wird dieses Problem weiter verschärft. Doch die volatile Marktsituation kann auch als Chance für eine Beschleunigung der Diffusion neuer, Grüner Technologien gesehen werden. Die Diffusion Grüner Produkte könnte durch eine verstärkte politische Zusammenarbeit mit europäischen Institutionen erheblich beschleunigt werden.

Überproportionales Marktwachstum in den BRIC-Staaten

Die BRIC-Staaten, bestehend aus Brasilien, Russland, Indien und China, werden als wichtigste Wachstumsmärkte für die kommenden Jahrzehnte gehandelt und besitzen eine hohe Markt­attraktivität für technologiegetriebene Branchen wie die Reifenindustrie. Die BRIC-Staaten könnten bereits in 10 Jahren einen höheren Gesamtgüterverbrauch als die USA aufweisen und damit eine drohende Marktstagnation der europäischen und US-Märkte überkompensieren. China allein könnte bereits bis zum Jahr 2025 einen äquivalenten Verbrauch zu den USA erreichen. Neben den Schwellenländern werden auch viele der heutigen Entwicklungsländer wie Malaysia oder Vietnam eine erhebliche Entwicklungskurve durchschreiten und zu attraktiven Wachstumsmärkten avancieren. Betrachtet man weitere Schwellenländer, die nicht zu den BRIC-Staaten gezählt werden, fallen Südkorea, Mexiko und die Türkei auf, die zusammen weitere 1,4 Bil. USD an Güterverbrauch aufweisen. Mit ca. 20 Bio. USD weisen die EU-27 Staaten zusammen mit den USA heute noch einen wesentlich höheren Wert als die BRIC-Staaten oder Entwicklungsländer auf. Der extreme Unterschied der Gesamtmarktgröße lässt viele Experten an der Relevanz der Schwellenländer als lukrative Absatzmärkte zweifeln. Allerdings ist bei der Bewertung der Märkte nicht deren absolutes Niveau, sondern ihre zu erwartende Entwicklung und die Entwicklungsgeschwindigkeit ihres Konsumpotenzials relevant. Betrachtet man anstelle des heutigen Marktvolumens das Marktpotenzial, haben die BRIC-Staaten bereits heute die meisten EU-Staaten sowie die USA abgehängt. Der Vorsprung der neuen Märkte wird über die kommenden Jahre und Jahrzehnte stark wachsen. Dies wird bereits an heutigen Pkw-Abverkaufszahlen ersichtlich: Im Jahr 2010 wurden weltweit 61,7 Mio. Pkw verkauft. Nach Aussage des europäischen Branchenverbandes ACEA sanken dabei die Verkaufszahlen in Europa um 5,5% auf 13,36 Mio. Pkw. Demgegenüber traten laut VDA Brasilien, Russland, Indien und China als Wachstumstreiber hervor. Für China konnte ein Zuwachs der Abverkaufszahlen um 34% auf 11,3 Mio. Fahrzeuge konstatiert werden. Indien konnte den Absatz um 31% auf 2,1 Mio. Pkw steigern. Brasilien hat mit einem Zuwachs von 11% auf 3,3 Mio. Pkw erstmals den deutschen Markt überholt. China könnte bis zum Jahr 2020 mit 30 Mio. Pkw der weltweit größte Automobilmarkt werden (vgl. Abbildung 1).


Abbildung 1: Globale Entwicklung der Pkw-Abverkaufszahlen für das Jahr 2020

Der Haupttreiber des Marktwachstums liegt dabei nicht im absoluten Wachstum der Bevölkerung in den jeweiligen Ländern, sondern in der überproportional schnell wachsenden Mittelschicht und den daraus folgenden Auswirkungen auf das Konsumverhalten und die Sparquote. Insbesondere langfristige Investitionsgüter wie Automobile werden frühzeitig von dem veränderten Konsum­verhalten betroffen sein und in der Nachfrage rasant ansteigen. Im Bezug auf den Reifegrad der politischen Bestrebungen zum Umweltschutz und zur Reduktion von Treibhausgasen zeigt sich im Gegensatz zu Europa ein weitaus differenzierteres Gesamtbild. Die politische Verknüpfung ökonomischer Marktfunktionen mit ökologischen Zielsetzungen stellt die zentrale Erfolgsgröße für die Diffusion Grüner Produkte und Technologien in die Märkte der BRIC-Staaten dar. Erst wenn ökologisch vorteilhafte Technologien und Produkte auch einen ökonomischen Mehrwert für den Endverbraucher besitzen, kann eine nachhaltige Markttransformation erfolgen. Während Südkorea eine politische Vorreiterstellung bei der Umsetzung ökologischer Zielsetzungen durch Maßnahmen wie ein konsequentes Energielabelling und Mindesteffizienzklassen verschiedener Produkttypen einnimmt, fallen China und Indien als die größten asiatischen Märkte in der Umsetzung zurück. Die mangelhafte Umsetzung von Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz und zur Reduktion von Treibhausgasemissionen wird auch am relativen Energieverbrauch der BRIC-Staaten ersichtlich, die nach wie vor einen Großteil ihrer Energie aus fossilen Brennstoffen beziehen (vgl. Abbildung 2).


Abbildung 2: Relativer Energieverbrauch ausgewählter Staaten

Alle vier Länder befinden sich derzeit in der Einführungsphase eines Energieeffizienlabels, welches als Referenzmodell für die Diffusion Grüner Technologien verwendet werden kann. In Brasilien zeigen die Maßnahmen zur Erhöhung der Energieeffizienz bereits heute sehr gute Erfolge. Die BRIC-Staaten haben die Wichtigkeit einer hohen Energieeffizienz erkannt und konkrete Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz eingeleitet. Die Diffusion Grüner Technologien erfolgt dabei analog zu der Entwicklungs­kurve in den traditionellen Industriestaaten. Im Bezug auf Grüne Reifen bedeutet dies, dass die Einführung von Energieeffizienzlabels erst mittelfristig umgesetzt wird. Die Effizienz der Umsetzung der politischen Vorgaben zum Labelling von Haushaltsgeräten wird somit zu einem zentralen Erfolgsfaktor für die Akzeptanz künftiger ökologisch ausgerichteter Produkte sowie Labels und somit auch für die Diffusionsgeschwindigkeit Grüner Reifen. Für den Erfolg der Diffusion Grüner Technologien in Entwicklungsländer kann keine allgemeingültige Prognose gestellt werden, da die Entwicklungsländer bis heute erhebliche Diskrepanzen im Bezug auf ihr ökonomisches, soziales und ökologisches Entwicklungsstadium aufweisen. Das Ausmaß der Unterschiede lässt sich am Durchschnittseinkommen verdeutlichen. Während Singapur im Jahr 2009 ein Durch­schnitts­einkommen von 37.000 USD/Kopf aufwies und damit zu den reichsten Ländern des ASEAN-Raums zählt, fallen Myanmar, Laos und Kambodscha mit jeweils weniger als 1.000 USD/Kopf weit zurück. Mit Ausnahme weniger Staaten nehmen ökologische Zielsetzungen in einem Großteil der Entwicklungs­länder in ihrer Bedeutung eine Nischenposition hinter den oftmals gravierenden sozialen und ökonomischen Problemstellungen ein, sodass kurz- bis mittelfristig nicht mit einer Diffusion Grüner Produkte im allgemeinen und Grüner Reifen im Speziellen gerechnet werden kann.

Weiterführende Literatur

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