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Produktordnungssysteme nur Plattformen?

[24.11.1999]

Foto: WavebreakmediaMicro / fotolia.com

Die Automobilindustrie hat nach der Erfindung der Gleichteile in allen Autos und der Konzeption eines Weltautos die Plattformstrategie erfunden, deren Vor- und Nachteile in letzter Zeit lebhaft diskutiert werden. Diese Diskussion hat die sachliche Ebene teilweise verlassen und ist von einem uneinheitlichen Begriffsverständnis geprägt. ‘Durch die Plattformstrategie lassen sich jährlich rund 3 Milliarden DM sparen‘, sagte Ferdinand Piëch in einem Interview mit dem ‘Spiegel‘ schon im Jahre 1996. BMW erklärt demgegenüber, keine Plattformkonzepte einzusetzen, da diese nicht mit der Unternehmensphilosophie in Einklang zu bringen seien. Trotzdem hat BMW, aufbauend auf dem 3er-Chassis, eine Vielzahl von Fahrzeugtypen entwickelt (3er Coupé und Compact, Z3). Was ist also eine Plattformstrategie?

Die Automobilindustrie hat nach der Erfindung der Gleichteile in allen Autos und der Konzeption eines Weltautos die Plattformstrategie erfunden, deren Vor- und Nachteile in letzter Zeit lebhaft diskutiert werden. Diese Diskussion hat die sachliche Ebene teilweise verlassen und ist von einem uneinheitlichen Begriffsverständnis geprägt. ‘Durch die Plattformstrategie lassen sich jährlich rund 3 Milliarden DM sparen‘, sagte Ferdinand Piëch in einem Interview mit dem ‘Spiegel‘ schon im Jahre 1996. BMW erklärt demgegenüber, keine Plattformkonzepte einzusetzen, da diese nicht mit der Unternehmensphilosophie in Einklang zu bringen seien. Trotzdem hat BMW, aufbauend auf dem 3er-Chassis, eine Vielzahl von Fahrzeugtypen entwickelt (3er Coupé und Compact, Z3). Was ist also eine Plattformstrategie?

Plattformstrategie

Plattformstrategien können definiert werden als Gleichteilkonzepte, die modellreihenübergreifend die Verwendung identischer Teile, Komponenten und Module vorsehen und damit zu einer signifikanten Verringerung der Variantenvielfalt und Komplexität führen. Sie unterscheiden sich von der Konzeption eines Weltautos (z. B. Ford Mondeo) durch die Erweiterung der Gleichteilestrategie über die einzelnen Modell- und Konzernschranken hinweg. Plattformstrategien beruhen auf dem Baukastenprinzip. Hieraus resultieren gravierende Auswirkungen auf die Kostensituation des Unternehmens sowie den Kundennutzen der Produkte.

Kostenwirkungen der Plattformstrategie

Plattformstrategien ermöglichen die Erschließung erheblicher Kostensenkungspotentiale in den Bereichen Produktion und Entwicklung durch einen mit steigendem Gleichteileanteil einhergehenden Stückzahlanstieg. Dies geht jedoch mit einer steigenden Austauschbarkeit der Produkte einher. So sind bei Fahrzeugen auf gleicher Plattform die Grundfahreigenschaften nahezu identisch. Im Extremfall kommt es zu baugleichen Produkten, die sich nur noch durch marginale Designunterschiede differenzieren, wie dies beispielsweise bei Siemens- und Bosch-Waschmaschinen der Fall ist.

Nutzenwirkungen der Plattformstrategie

Auf der anderen Seite ermöglicht die Plattformstrategie die Realisierung einer bisher ungekannten Varianz. Hierdurch können gezielt Nischenmärkte und Marktnischen durch maßgeschneiderte Produkte angesprochen werden (z. B. VW Beetle, Audi TT, Z3). Diese Möglichkeit beinhaltet jedoch auch die Gefahr der Varianteninflation mit der Folge der Kannibalisierung anderer eigener Produkte. Weiterhin beinhaltet ein zu stark zergliedertes Produktprogramm die Gefahr, dass die Kunden sich nicht mehr mit den einzelnen Produkte identifizieren, da die einzelnen Modelle aufgrund ihrer geringen Stückzahl nicht mehr wahrgenommen werden. Dieser Gefahr steht jedoch die Möglichkeit gegenüber, eine Marke gezielt durch besondere Produkte zu stärken.

Die bisherigen Ausführungen werfen einige Fragen auf: Sind Plattformstrategien für alle Unternehmen sinnvoll? Wie muss ein Produktordnungssystem ausgestaltet werden, um sowohl Kostensenkungsmöglichkeiten auszuschöpfen als auch den maximalen Kundennutzen zu gewährleisten? Wo liegen die Grenzen der Standardisierung? Ich möchte im folgenden auf einige dieser Fragen eingehen.

Analyse der Rahmenbedingungen

Produktordnungssysteme sind unternehmensspezifisch unterschiedlich in Abhängigkeit der Rahmenbedingungen auszugestalten. Hierbei sind zwei Teilbereiche zu betrachten. Zum einen wird das Produktordnungssystem wesentlich durch das aus der Unternehmensstrategie resultierende zukünftige Produktprogramm determiniert. Insbesondere die geplanten Stückzahlen in einzelnen Marktsegmenten sowie die gewünschte Differenzierung zwischen einzelnen Marken und Modellreihen sind hierbei zu berücksichtigen. Zum zweiten sind die gegebenen unternehmens­internen Restriktionen zu beachten. Hierzu zählt die Anzahl interner und externer an Entwicklung und Produktion beteiligter Partner ebenso wie die technologischen und produktionstechnischen Rahmenbedingungen. Hierbei ist auf die Betrachtung aller Bereiche der Wertschöpfungskette zu achten, eine einseitige Fokussierung auf die im Produktionsbereich erzielbaren Kostensenkungen ist zu vermeiden.

Wahl des richtigen Produktordnungssystems

Im Anschluss an die Analyse der Rahmenbedingungen muss das für die individuelle Unternehmenssituation richtige Produktordnungssystem ausgewählt werden. Die momentane Diskussion fokussiert sehr auf die Plattformstrategie, die aber nicht in allen Unternehmen sinnvoll angewandt werden kann. Andere Konzepte, wie Teilefamilienbildung, Baukastenstrukturen, Funktionsbündelung und Modulbauweisen sind ebenso in die Betrachtung mit einzubeziehen. Diese Konzepte differenzieren sich sowohl hinsichtlich ihrer strategischen Bedeutung, ihrer Auswirkungen auf die Individualität auf Endproduktebene als auch bezüglich ihrer Kostensenkungsmöglichkeiten. Die Auswahl sollte nicht aufgrund von allgemeinen oder Branchentrends beeinflusst werden, sondern sich an den spezifischen Rahmenbedingungen des einzelnen Unternehmens orientieren.

Wahl des richtigen Gliederungskriteriums

Jedes Produktordnungssystem kann hinsichtlich unterschiedlichster Gliederungskriterien ausgestaltet werden. Momentan kommen aber fast nur baugruppenorientierte bzw. funktions­orientierte Produktordnungssysteme zum Einsatz. Für viele Unternehmen sind jedoch andere Kriterien für die Zukunft zu bevorzugen, da die rasante technische Entwicklung mit herkömmlichen Ordnungskriterien kaum noch abgebildet werden kann. Erfolgreiche Unternehmen werden zukünftig auch in diesem Bereich neue Wege gehen und neue Kriterien zur Strukturierung des Produktordnungssystems nutzen. Hierbei werden insbesondere technologie- und eigenschafts­orientierte Produktordnungssysteme an Bedeutung gewinnen.

Differenzierung da, wo der Kunde es wahrnimmt

Eine besonders wichtige Rolle bei der Ausgestaltung des Produktordnungssystems nimmt die Gestaltung der Schnittstellen zwischen den einzelnen Systemelementen ein. Welche Elemente sollen bei einer Plattformstrategie in die Plattform integriert werden, welche können kunden- oder produktindividuell ausgestaltet werden? Diese Entscheidung determiniert wesentlich die Vergleichbarkeit und Möglichkeiten zur Differenzierung der Endprodukte und somit auch die Erfolgsaussichten im Markt. ‘Die Unterschiede zwischen den Modellen wird es nur dort geben, wo sie der Kunde sieht, hört und spürt‘, sagte ein Automobilmanager vor einigen Jahren. Standardisierung ist dort sinnvoll, wo kein Differenzierungspotential gegenüber den Wettbewerbern besteht oder der Kunde mögliche Differenzierungspotentiale nicht wahrnimmt und honoriert. Die richtige Schnittstellendefinition zwischen den Systemelementen kann somit nicht generalisiert werden, sondern ist für das individuelle Produktprogramm eines Unternehmens unter Berücksichtigung der Wettbewerbsprodukte auszugestalten.

Berücksichtigung der gesamten Wertschöpfungskette

Bei Auswahl und Entscheidung auf allen drei Ebenen müssen die Effekte auf alle relevanten Unternehmensbereiche berücksichtigt werden. Die bisher dominierende kurzfristig orientierte Fokussierung auf Kostensenkungsmöglichkeiten im Produktionsbereich greift zu kurz. Nur die Berücksichtigung der Auswirkungen auf die Bereiche Vertrieb, Entwicklung, Beschaffung, Produktion und Service gewährleistet die langfristige Sicherstellung des wirtschaftlichen Erfolges.

Zur Einführung eines neuen Produktordnungssystems bieten sich die Durchführung eines Projektes mit einem interdisziplinär zusammengesetzten Team an. Die Durchführung einer Produktklinik kann den Prozess deutlich beschleunigen. Hierbei werden die dem eigenen Produkt sowie den Konkurrenzprodukten zugrunde liegenden Produktordnungssysteme sowie die Anforderungen des relevanten Marktes analysiert. Diese Betrachtung zeigt mögliche Lösungswege für die Ausgestaltung des Produktordnungssystems auf und verdeutlicht gleichzeitig den notwendigen Prozess, der zur Realisierung führt.

Weiterführende Literatur zum Thema

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