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Wirtschaftliche Rechtfertigung von Rationalisierungsinvestitionen

[29.10.1999]

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Industrieunternehmen stehen gegenwärtig vor dem Problem, Entscheidungen über Rationalisierungsinvestitionen mit strategischer Tragweite ohne eine nachvollziehbare Rechtfertigung im Sinne einer Risikoabschätzung entscheiden zu müssen. Bisherige Rationalisierungsinvestitionen brachten oftmals nicht den gewünschten wirtschaftlichen Effekt, weil der Fokus zu einseitig auf eine Kostenreduzierung, verbunden mit einem Abbau der personellen Ressourcen und eine weitreichende Automatisierung gerichtet war und Lösungsansätze für eine kundenorientierte Produktion vernachlässigt wurden. Diese Problematik wurde im Rahmen eines öffentlichen Diskurses aus Sicht der Industrie und der Forschung dargestellt. Aus den aufgestellten Forderungen ergaben sich weitere Forschungsbedarfe zur Entwicklung strategischer und operativer Instrumentarien zur Rechtfertigung von Rationalisierungsentscheidungen.

Im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung initiierten interdisziplinären Rahmenprogrammes ‘Forschung für die Produktion von morgen‘ , an dem die TU München, Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Logistik, Univ.-Prof. Dr. Dr. Horst Wildemann, maßgeblich beteiligt ist, sollen die Potentiale einer mitarbeiterorientierten Produktion der variantenreichen Serienfertigung am Standort Deutschland erarbeitet werden. Ziel der vordringlichen Aktion ‘Beschäftigungsförderliche Rationalisierung‘ ist die umfassende Ermittlung weiterer Forschungsbedarfe in den Bereichen Fertigungstechnik, Arbeitsorganisation und Betriebs- und Volkswirtschaftslehre unter Einbindung von Praktikern aus Industrieunternehmen. Hierauf basierend sind in Folgeprojekten Methoden zur Realisierung einer Produktion zu entwickeln, die bei konstanten Absatzbedingungen zunächst die Beschäftigung in der Produktion sichert und im Idealfall sogar steigert. Längerfristig sollen durch eine beschäftigungsförderliche Rationalisierung Wett­bewerbs­vorteile geschaffen werden, die Voraussetzungen für Wachstum und Beschäftigungszuwachs sind.

Die Ergebnisse des öffentlichen Diskurses haben bei Fokussierung auf die betriebswirtschaftlichen Fragestellungen gezeigt, dass angesichts der Vielschichtig-keit der Einflussgrößen einer wirtschaftlichen Rechtfertigung von Seiten der Unter-nehmen erhebliche Bedarfe an einer Systematisierung und Weiterentwicklung der vorhandenen, aber als unzureichend empfundenen Methoden bestehen. Dass beschäftigungsförderliche Rationalisierungsansätze bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt zunehmend in Erwägung gezogen werden, zeigt das Beispiel der Siepmann-Werke, einem mittelständischen metallverarbeitenden Unternehmen. ‘Wir wollen mit weniger Maschinen [...] mehr produzieren. [...] Wir haben Fachpersonal, das wäre später nur schwer wieder zu bekommen‘, so der geschäftsführende Gesellschafter Walter Siepmann in einem Artikel der Frankfurter Allgemeine Zeitung. Die zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit erforderlichen Erweiterungs- und Rationalisierungs­investitionen werden dementsprechend ohne Reduktion der Belegschaft durchgeführt.

Die bisherige Strategie der Priorisierung von Technisierung und Automation der Produktion gegenüber mitarbeiterorientierten Ansätzen liegt nach Auffassung von Experten in den Unternehmen darin begründet, dass eine Entscheidung für eine technische Lösung leichter falle, weil die Kostenentwicklung einer humanorientierten Variante wesentlich schwieriger zu kalkulieren sei und zusätzlich mit einer großen Unsicherheit bezüglich der Kostenentwicklungen behaftet sei. Diese traditionellen Ansätze negierten jedoch größtenteils die Anforderungen an eine kundenorientierte und leistungsstarke Organisationsstruktur im Unternehmen. Die Folgen waren oft eine gestiegene Anlagen- und Prozesskomplexität, die die Kostensituation im Unternehmen zum Teil sogar verschlechterten. Verschärfend kommt hinzu, dass bisherige Rationalisierungsmaßnahmen lediglich unter der Maßgabe einer Kostenreduzierung erfolgten. Eine den Kundenanforderungen gerecht werdende Produkt- und Prozessqualität ist nur durch einen kontinuierlichen Verbesserungs-prozess unter Einbeziehung der Mitarbeiter und deren Know-how erreichbar. Um die tatsächlichen betriebswirtschaftlichen Effekte von Rationalisierungsinvestitionen quantifizieren zu können, sind die angewandten Methoden der Wirtschaftlichkeits-rechnung zu modifizieren und durch Meß- und Controllingkonzepte zu unterstützen. Auf diese Weise wird eine exaktere Vergleichbarkeit zwischen automatisierungs- und humanorientierten Rationalisierungsansätzen gewährleistet. Von Seiten der Experten aus den Unternehmen werden hierbei insbesondere Möglichkeiten zur Abbildung der Flexibilität von Produktionsmethoden und die Ermittlung und Messung von Komplexitätskosten durch Implementierung einer Zielkostenrechnung genannt.

Aus strategischer Sicht wird die Entwicklung von Instrumentarien wie Praxisleitfäden zur Ableitung von Normstrategien und zur Risikobewertung gefordert. Gerade auf strategischer Ebene ist eine branchenübergreifende Betrachtung zur Umsetzung von Rationalisierungsinvestitionen unabdingbar: Neue Produktionstechnologien und -konzepte bei Wettbewerbern sind zwar bekannt, es fehlt gegenwärtig aber an Informationen über die Erreichungsgrade der mit den Rationa­lisierungs­investitionen angestrebten Ziele. Entsprechend besteht ein Bedarf an Instrumentarien, die gleichermaßen eine quantitative Darstellung strategischer Lücken und Möglichkeiten zu ihrer Beeinflussung durch beschäftigungsförderliche Rationalisierungs-investitionen aufzeigen und im Rahmen von mitarbeiterorientierten Ansätzen eine Abbildung der Mitarbeiterqualifikation und des im Unternehmen verfügbaren Wissens zu ermöglichen, das nach Auffassung der Unternehmens­vertreter als ein wichtiger strategischer Erfolgsfaktor zu qualifizieren ist.

Kontakt für weitere Informationen:
Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Logistik Univ.-Prof. Dr. Dr. Horst Wildemann,
Leopoldstraße 145, 80804 München

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