[23.06.2014]
Marktentwicklung ist kein kontinuierlicher Prozess, sondern das Ergebnis des dynamischen Zusammenwirkens evolutionärer und revolutionärer Entwicklungsphasen. Dies lässt sich an der aktuellen Entwicklung des Energiemarktes nachvollziehen: Politische und wirtschaftliche Faktoren führen zu einer zunehmenden Transformation hin zu alternativen Energieträgern und -systemen. Innovative Technologien drängen in den Markt und führen zur Ablösung der in den letzten Dekaden vorherrschenden, inkrementellen Technologieentwicklung.
Die Brennstoffzellentechnologie stellt in diesem Prozess eine vielversprechende Alternative für stationäre und mobile Energielösungen dar. Doch trotz der beschleunigten technischen Entwicklung in diesem Bereich und einer positiven Erwartungshaltung bei Industrie und Endkunden ist der Marktdurchbruch von Brennstoffzellensystemen bis heute nicht gelungen. Unternehmen und Verbraucher fragen nach den Gründen dieser verzögerten Markttransformation. Das Argument einer mangelnden Technologiereife trifft hier nicht den Kern des Problems. Monokausale Begründungen zur Prognose der Marktentwicklung innovativer Produkte und Technologien sind ohnehin kaum zur Erklärung geeignet, da sie die Komplexität der technischen und marktseitigen Wirkzusammenhänge vernachlässigen. Um die Hintergründe und Einflussgrößen der Marktentwicklung disruptiver Technologien am Beispiel der Brennstoffzelle strukturiert zu erfassen, wurde eine Expertenbefragung zu den Herausforderungen und Erfolgsfaktoren dieser Technologie durchgeführt.
Die Gespräche wurden mit Entwicklungsleitern und Geschäftsführern von Unternehmen der Brennstoffzellenbranche geführt. Ziel war es, Ansatzpunkte zur Erreichung der Marktreife der Brennstoffzellentechnologie im privaten und industriellen Umfeld sowie die zentralen Hebel der Kostenreduzierung zu identifizieren. Hierzu wurden die wesentlichen Hindernisse herausgearbeitet, die bisher eine Marktdurchdringung verzögerten. Der Entwicklungspfad der Brennstoffzelle konnte durch einen direkten Vergleich mit einer Wettbewerbstechnologie ergründet werden.
Als zentrale Wettbewerbstechnologie wurde zu Beginn der Entwicklung der Lithium-Ionen-Akkumulator gesehen. Dieser weist bis heute eine wesentlich steilere Entwicklungskurve auf und konnte die Marktreife früher erreichen. Es zeigte sich, dass die Diskrepanzen in der Marktdurchdringung das Ergebnis des Zusammenwirkens marktseitiger, technologischer und produktionstechnischer Herausforderungen sind. Zu Beginn standen beide Technologien in einem vergleichbaren technologischen Entwicklungsstadium, jedoch bestand seitens der Automobilindustrie ein starker Fokus auf der marktseitigen Platzierung der Brennstoffzellentechnologie als zukunftsweisendes Antriebssystem. Wider Erwarten erwies sich diese frühzeitige Entscheidung aus heutiger Sicht als kontraproduktiv. Am Markt wurde nämlich eine starke Erwartungshaltung geweckt, die sich aufgrund der noch nicht erfolgten Industrialisierung der Produktions- und Montageprozesse nicht kurzfristig erfüllen ließ. Die daraufhin einsetzende Ernüchterung führte zu einer bis heute anhaltenden generellen Skepsis gegenüber der Brennstoffzellentechnologie – auch über den automobilen Anwendungsbereich hinaus.
Gleichzeitig konnte die Lithium-Ionen-Technologie dank einer fokussierten Nischenstrategie bereits in ersten Anwendungsfeldern erfolgreich eingesetzt werden und Fortschritte in der Skalierung der Produktionsabläufe erzielen. Durch die damit einhergehende Kostendegression gelang der Eintritt in den Massenmarkt der mobilen Energieversorgung. Diese Entwicklung hat zur Folge, dass die Lithium-Ionen-Technik heute in zahlreichen mobilen Endgeräten wie Smartphones zum Einsatz kommt. Standardisierte Baugruppen und ausgereifte Wertschöpfungsstrukturen mit spezialisierten Teilnehmern trieben die Stückkostendegression weiter voran. Aufgrund der missglückten Markttransformation im Automotive-Bereich blieb der Brennstoffzellentechnologie der zentrale Schritt der Skalierung von Produktionsabläufen bis heute verwehrt. Dieser Entwicklungspfad bildet den Hintergrund zur Interpretation der Ergebnisse aus der Expertenbefragung, die in der folgenden Abbildung zusammengefasst wurden.
Die Betrachtung der identifizierten Hemmnisse zeigt, dass der Schlüssel der Marktentwicklung nicht in der Weiterentwicklung der Technologie selbst, sondern in der Notwendigkeit eines verstärkten Ausbaus der Produktionsstrukturen liegt. Aus Sicht der Hersteller ergibt sich somit die paradoxe Situation, dass Ursachen und Folgen der verzögerten Marktentwicklung Hand in Hand gehen. Sowohl die zu hohen Einstandskosten heutiger Brennstoffzellensysteme als auch die mangelhaft ausgebaute Netzinfrastruktur für den Betrieb dieser Systeme lassen sich auf zu geringe Abverkaufsmengen und die damit einhergehende, kostenintensive Kleinserienfertigung zurückführen. Eine nachhaltige Kostendegression lässt sich jedoch erst über die standardisierten Produktionsprozesse einer Großserienfertigung erzielen. Hersteller von Brennstoffzellensystemen suchen daher nach Wegen, diesen Teufelskreis zu durchbrechen und konkurrenzfähige Marktpreise zu erzielen.
Die Kombination der Conjoint-Analyse zur strukturierten Anforderungserfassung mit dem Ansatz einer technischen Produktoptimierung auf Basis der Produktklinik erlaubt ein ganzheitliches, methodengestütztes Vorgehen, das den Brückenschlag zwischen marktseitigem Anforderungsprofil und technischer Realisierung unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ermöglicht. Durch die Verknüpfung technisch quantifizierter Anforderungsprofile mit einer strukturierten Analyse der technischen Funktionserfüllung durch den aktuellen Stand der Brennstoffzellensysteme lassen sich vorhandene Leistungslücken und Over-Engineering gezielt aufdecken. Der funktional-technische Vergleich verschiedener Brennstoffzellensysteme sowie funktionsverwandter Produkte legt dabei Ansatzpunkte zu einer gezielten Kostenreduzierung offen und ermöglicht eine Realisierung anspruchsvoller Kostenziele im Sinne des Target Costing.