[29.04.2008]
In Zeiten, in denen der Materialkostenanteil am Umsatz in nahezu jeder Branche weit über 40% liegt, sind die Möglichkeiten des Einkaufs, durch Global Sourcing Aktivitäten einen deutlich spürbaren Betrag zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu leisten, weitestgehend bekannt. Dennoch beschränken sich die Einkaufsaktivitäten vieler deutscher Mittelstandsunternehmen auf nur wenige Kilometer um den eigenen Schornstein, wodurch erhebliche Einsparpotenziale unberücksichtigt bleiben. Gründe hierfür liegen oftmals nicht im Einkauf selbst, sondern sind durch massive Abwehrreaktionen interner Funktionsträger in Konstruktion, Vertrieb und Qualität begründet, die den notwendigen Veränderungen in der Wertschöpfungskette argwöhnisch gegenüberstehen.
Durch die systematische Vorbereitung einer differenzierten Global Sourcing Strategie ist es dem TCW gemeinsam mit dem Strategischen Einkauf eines mittelständischen Maschinenbauunternehmens gelungen, interne Barrieren und Vorurteile gegenüber Global Sourcing Bestrebungen abzubauen und nachhaltige Einsparpotenziale zu identifizieren.
Die erfolgreiche Projektarbeit beruhte dabei auf einer stabilen Global Sourcing Methodik, die bereits in zahlreichen Unternehmen erfolgreich angewendet wurde sowie einer offenen und funktionsübergreifenden Kommunikation vorhandener Chancen und Risiken einer internationalen Wertschöpfungskette. Durch das gewählte Vorgehen wurde der Einkauf mit einem funktions- und controllingfähigen Instrument zur Erarbeitung globaler Einkaufsstrategien ausgestattet. Zugleich erfolgte ein Abbau von Hemmnissen und Missverständnissen bezüglich der Global Sourcing Thematik innerhalb der angrenzenden Unternehmensfunktionen.
Die angewandte Global Sourcing Methodik umfasst sechs Elemente, die durch einen 18-stufigen Prozess charakterisiert werden.
1. Analyse der Verbesserungswürdigkeit und Durchführungsplanung
In einem ersten Schritt wird die Notwendigkeit zur Verbesserung der eigenen Wettbewerbssituation durch Global Sourcing Aktivitäten ermittelt und ein Projektplan zur Initialisierung von Global Sourcing Aktivitäten erstellt. In dieser Phase kommt es insbesondere darauf an, grundlegende Aspekte der Projektplanung, im Sinne einer technischen, kaufmännischen und aufgabenmäßigen Strukturierung, zu berücksichtigen. Die sich hierbei ergebenden Strukturen stellen die internen Grundpfeiler einer zielorientierten Global Sourcing Strategie dar, die es durch Softfacts, wie z.B. Top-Management-Involvierung, offene Kommunikation sowie eine rein faktenbasierte Argumentation zu untermauern gilt.
2. Identifizierung vergabefähiger Teilespektren
Der Erfolg von Beschaffungsaktivitäten in Emerging Procurement Markets steht und fällt mit der richtigen Auswahl verlagerungsfähiger Bauteile. Durch eine Bedarfsstrukturanalyse wird anhand von unternehmensspezifisch festgelegten Kriterien (z.B. Standardisierungsgrad, Bauteilkomplexität und Anforderungen an Kommunikation und Logistik) das Versorgungsrisiko ermittelt und das Einkaufsvolumen der betrachteten Bauteile segmentiert. Die Ergebnisse der Analyse werden mit Hilfe einer Portfoliomethodik visualisiert, um die für den Einkauf in neuen Beschaffungsmärkten geeigneten Bauteile zu bestimmen. Durch die portfoliogestützte Vorgehensweise wird die Nachvollziehbarkeit getroffener Entscheidungen erhöht, wodurch das Management signalisiert, sich mit den Stärken der eigenen Produkte intensiv auseinandergesetzt zu haben.
3. Untersuchung attraktiver Märkte
In einem dritten Schritt werden Beschaffungsmärkte anhand von makro- und mikroökonomischen Daten analysiert. Eine Vorauswahl potenzieller Märkte erfolgt anhand von beschaffungsspezifischen Länderprofilen, die die aktuell vorherrschenden Situationen in den globalen Beschaffungsmärkten charakterisieren und neben allgemeinen Angaben (z.B. Infrastruktur, Industriecluster, Kompetenzen) vor allem konkrete Wirtschaftsindikatoren und Faktorkostenpotenziale beinhalten. Anhand der Länderprofile werden die potenziellen Beschaffungsmärkte für das Unternehmen bestimmt. Diese zeichnen sich durch einen hohen Kostenvorteil bei vergleichsweise geringem bzw. handhabbarem Beschaffungsrisiko aus. Für eine differenzierte Analyse verbleibender Beschaffungsmärkte werden durch teile- und länderspezifische Indikatoren anhand einer Bauteil-Länder-Matrix die Gesamtkostenvorteile und Leistungsrisiken für die gewählte Teile-Länderkombination ermittelt. Das Ergebnis dieser Analyse ist eine Beschaffungslandkarte für jedes betrachtete Bauteil, anhand derer die Kostenvorteile für das gewählte Bauteil gegenüber der bisherigen Bezugsquelle unter Berücksichtigung der jeweiligen Risikoposition veranschaulicht werden. Die Bauteil-Länderkombination erhöht die Transparenz innerhalb der konkreten Beschaffungssituation und liefert stabile Argumente für die Nutzung internationaler Wertschöpfungsverflechtungen, die nur schwer durch K.O.-Argumente der Skeptiker entkräftet werden können.
4. Identifizierung konkreter Anbieter
Hat sich der Einkauf erst einmal durch die beschriebene Methodik ein Bild über die erfolgversprechendsten Beschaffungsmärkte gemacht, kann mit der systematischen Suche nach konkreten Lieferanten in den Zielmärkten begonnen werden. Die Lieferantenselektion stützt sich dabei auf ein Trichtermodell, das ein stufenweises Herausfiltern der geeignetsten Lieferanten ermöglicht. Die Evaluation der Lieferanten erfolgt auf Basis von wirtschaftlichen, technischen und qualitätsbezogenen Kennzahlen die durch Selbstauskünfte, Bedarfsanfragen und Auditierungen erhoben und anschließend bewertet werden. Die dadurch gewonnenen Erkenntnisse sind in konkrete Lieferantenstrategien umzusetzen und mit teilespezifischen Global Sourcing Roadmaps zu hinterlegen. Grundsätzlich sind drei Sourcingstrategien denkbar.
5. Potenzialabschätzung und Lieferantenauswahl
Im Zuge der eigentlichen Vergabeentscheidung ist eine ganzheitliche Bewertung aller Kosten und Risiken von entscheidender Bedeutung. Da Logistikkosten, Zölle und Steuern einen erheblichen Anteil an den Gesamtkosten einer internationalen Abnehmer-Lieferantenbeziehung ausmachen, sind diese Kosten detailliert zu erheben. Das Konzept der Total Cost of Ownership unterstützt das Beschaffungsmanagement bei der kostenmäßigen Bewertung von Vergabealternativen. So können gewichtige Kostenfaktoren antizipativ bei Vergabeentscheidungen berücksichtigt und objektive Entscheidungen über die Weiterführung angestoßener Global Sourcing Alternativen getroffen werden. Die TCO-Methodik erhöht zudem das Verständnis für die Ursachen und Wirkzusammenhänge unterschiedlicher Vergabeoptionen bei den Mitarbeitern und trägt zum Abbau von unternehmensinternen Hemmnissen gegenüber Global Sourcing bei.
6. Strategisches Management der Geschäftsbeziehung
Insbesondere für die dritte Sourcingstrategie ist das strategische Lieferantenmanagement auf die Anforderungen internationaler Abnehmer-Lieferantenbeziehungen anzupassen. Wesentliche Bestandteile sind hierbei die kontinuierliche Überwachung der Erfolgswirksamkeit, die laufende Lieferantenbewertung und Kommunikation der jeweiligen Funktionen sowie eine strategische Entwicklung des Lieferanten bzw. der Geschäftsbeziehung zur nachhaltigen Optimierung der Wertschöpfungskette.
Begleitet durch den Leitsatz "Everything is possible but nothing is easy!" wurde die beschriebene Vorgehensweise bei einem Mittelstandsunternehmen der Maschinenbaubranche angewendet. In einem ersten Schritt wurden innerhalb weniger Wochen elf Bauteile mit einem gesamten Einkaufsvolumen von mehr als 15 Mio. Euro identifiziert. Bestehend auf den kalkulierten Kostenstrukturen und den betrachteten Beschaffungsmärkten wurden auf Bauteilebene globale Sourcingstrategien zur nachhaltigen Realisierung von Kosteneinsparungen abgeleitet. Neben der Identifizierung von Einsparpotenzialen von durchschnittlich 23 Prozent wurde durch die gewählte Vorgehensweise eine der schwierigsten Hürden des Global Sourcing genommen, nämlich die des internen Widerstands der Mitarbeiter gegenüber Veränderungen in der bestehenden Wertschöpfungskette.