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Einführung einer Materialgruppenklassifizierung in der chemischen Industrie

[02.07.2008]

Foto: sveta / fotolia.com
Die chemische Industrie stellt durch den hohen Versorgungsanteil global zu beschaffender Rohstoffe sowie dem in diesem Umfeld verstärkt vorherrschenden Klassifizierungsprobleme besondere Anforderungen an die Beschaffungsorganisation und -prozesse. Die hier vorgestellte Fallstudie befasst sich mit dem Problem einer einheitlichen Materialgruppenklassifizierung für ein Unternehmen der deutschen chemischen Industrie.

Ausgangssituation

Die chemische Industrie stellt besondere Anforderungen an die Beschaffungsorganisation und -prozesse. Die marktinduzierte Intransparenz bei der Beschaffung von chemischen Rohstoffen führt selbst bei hervorragender Ausbildung der Mitarbeiter zu Schwierigkeiten; einen umfassenden Marktüberblick aufgrund heterogener Rohstoff- und Materialklassifizierungen zu gewinnen. Dies resultiert aus dem gänzlichen Fehlen von Klassifizierungen oder einer hohen Unübersichtlichkeit bestehender Klassifizierungsansätze und Handelsnamen, welche keinen Rückschluss auf die molekularen Strukturformel und die Spezifikationen erlauben. Der hohe Anteil an global beschafften Rohstoffen und die meist sehr hohe Internationalisierung der Produktionsstätten deutscher Chemieunternehmen verschärft die Problematik mögliche Skaleneffekte speziell in der Beschaffung von Rohstoffen, aber auch im Bereich indirekter Materialien realisieren zu können. In der folgenden Fallstudie wird eine Vorgehensweise für die Implementierung einer einheitlichen Materialgruppenklassifizierung für ein international aufgestelltes Unternehmen der deutschen chemischen Industrie dargestellt.

Bei dem Projektpartner handelt es sich um einen international aufgestelltes Unternehmen der Spezialitätenchemie, welches sich in den letzten Jahren durch eine auffällig hohe Akquisitionstätigkeit und starkes Wachstum auszeichnete. Dies führte zu einer deutlichen Diversifizierung der Sparten. Auch die Interaktion zwischen den Einkaufsabteilungen der Subunternehmen ist äußerst spärlich. Daher ist der Austausch hinsichtlich gemeinsam genutzter Lieferanten, Rohstoffquellen und Alternativlieferanten zwischen den Unternehmen eingeschränkt. Strategische Beweggründe und Kostengesichtspunkte führten in Folge dazu, dass die Integration der Subunternehmen, zumindest aber eine verstärkte Realisierung von Skalen- und Synergieeffekten in allen Bereichen speziell aber im Einkauf forciert werden sollten.

TCW wurde mit dem Auftrag betraut nach einer eingehenden Analyse sowohl Synergie- und Verbesserungspotenziale in den Prozessen als auch Möglichkeiten für eine einschlägige Senkung der stark durch den Crude Oil Preis getriebenen Rohstoffkosten zu identifizieren. Hierbei sollten im Speziellen auch die sogenannten Gemeinkostenmaterialien einbezogen werden, da diese bei den bisher initiierten Synergierealisierungsprojekten nicht berücksichtigt worden waren.

Vorgehensweise

Die im Team aus Chemikern, Einkäufern und TCW-Beratern vereinbarte Vorgehensweise zur Synergierealisierung im Konzern lässt sich in 3 separate Teilpakete untergliedern, die im Folgenden dargestellt werden:

1. Separate Betrachtung von chemischen Rohstoffen und indirektem Material

Um die gemeinsam vereinbarten Ziele durch Synergierealisierung zu erreichen wurden chemische Rohstoffe und indirektes Material getrennt betrachtet und unterschiedliche Klassifizierungsansätze gewählt. Dadurch konnte den sehr unterschiedlichen Anforderungen der Beschaffungsgüter in Bezug auf chemisches, technisches und kaufmännisches Know-how Rechnung getragen werden und die Projektlast auf eine breitere Basis verteilt werden. Speziell für die Analyse und Klassifizierung der chemischen Rohstoffe hat sich eine enge Zusammenarbeit zwischen ausgebildeten Chemikern und Einkäufern mit detaillierten Marktkenntnissen in fest definierten Teams als wesentliches Erfolgskriterium erwiesen.

2. Abfrage der Klassifizierungssystematiken der Standorte und Abgleich der Klassifizierungen

In einem zweiten Schritt wurden sowohl für chemische Rohstoffe als auch für alle indirekten bzw. Gemeinkostenmaterialien Daten von den lokalen Geschäftseinheiten abgefragt. Ferner wurden an jedem Standort Projektverantwortliche definiert, die die Materialklassifizierung als auch die Definition und Umsetzung der zu indentifizierenden Projekte federführend durchführen sollten.

Wichtig war in diesem Zusammenhang zuerst eine grobe Vorgabe über die erwarteten Inhalte und die Betrachtungshorizont/ -periode zu machen. Auf diese Weise kann langwieriges Nachfassen beispielsweise nach Daten über die IT- oder Marketingausgaben bei den indirekten Materialien reduziert werden.

Der Rücklauf bei den indirekten Materialien wurde im Anschluss gesichtet und für eine gemeinsame Diskussion mit den lokalen Projektverantwortlichen aufbereitet. In einem mehrtägigen Workshop wurden die einzelnen Materialgruppen analysiert und mit bereits bestehenden Klassifizierungen wie beispielsweise UNSPSC und e@class verglichen. Auf dieser Grundlage wurde im Workshop die Einführung einer auf der e@class Systematik aufbauenden Klassifizierung für indirekte Güter entschieden. Die bestehende e@class Struktur wurde dabei gemeinsam sowohl in der Breite als auch in der Gliederungstiefe eingegrenzt und somit auf die Bedürfnisse der Einkäufer angepasst.

Im Rohstoffbereich wurde ebenfalls ein mehrtägiger Workshop mit Einkäufern und Chemikern der Entwicklung angesetzt. Anders als bei den meist selbsterklärenden indirekten Materialien bestand bei den Rohstoffen die größte Herausforderungen darin, gleiche bzw. ähnliche Rohstoffe mit länder- bzw. auch häufig lieferantenspezifischer Bezeichnung (z.B. Handelsnamen) zu identifizieren und zu homogenisieren. So war es bisweilen unumgänglich jeden einzelnen Rohstoff anhand seiner CAS-Nummer (Chemical Abstracts Service Nummer, der American Chemical Society) und seiner spezifischen Anwendung im Konzern zu untersuchen und zu klassifizieren. Hierfür wurde vom Workshopteam ein einheitlicher hierarchisch aufgebauter Nummerncode vereinbart. So findet sich beispielsweise der Rohstoff Kokusnussöl unter R 01 05 07 in der Gruppe R für „Rohstoffe“, 01 für „natürliche Bindemittel und deren Derivate“, 05 für „nicht trocknende Öle und Fette“ und 07 für „Kokusnussöl“. Eine derartige Analyse und vollständige Klassifizierung der Rohstoffe ist nicht in einem einzigen Workshop durchzuführen. Vielmehr wurden in Workshop 1 die Systematik festgelegt (Nummercode, erforderliche Zusatzinformationen wie CAS Nummer, Lieferantenname und Handelsname, Bedarfsträger u.v.m) und der Datenrücklauf grob in verschieden Arbeitspakete aufgeteilt, die von kleineren Sub-Teams abgearbeitet werden konnten. Als Ergebnis dieses Prozesses der Datenbereinigung konnten gemeinsame Rohstoffe der regionalen Töchter sowie erhebliche Bündelungspotentiale bei Großlieferanten identifiziert werden.

3. Festlegung eines Aktualisierungs- und Controllingprozesses und dessen organisatorischer Verankerung

Nach der Erarbeitung der für die Synergierealisierung notwendigen Datengrundlage wurde zwischen den Konzernunternehmen ein Prozess für die nachhaltige Verankerung der Klassifizierungen in den lokalen Systemen sowie ein regelmäßiger Controlling- und Reportingprozess vereinbart. Im hier beschriebenen Beispiel wurde auf der Holdingebene eine kleine aber schlagkräftige Truppe gebildet, deren Aufgabe die permanente Überwachung der Materialkostenentwicklung und die Initiierung und Abwicklung von Optimierungs- und Bündelungsprojekten ist. Für die Definition und Organisation dieser Projektaktivitäten wurde ein mehrmals jährlich stattfindendes globales Einkäufermeeting implementiert.

Ergebnisse

Ziel des Projektes war die Realisierung von Synergiepotentialen im Beschaffungsbereich eines Konzernunternehmens mit mehr als 20 Tochterunternehmen, die in verschiedenen Regionen und Marktsegmenten operieren. Zur Erreichung der gesteckten Ziele war es nach intensiver Analyse notwendig geworden, die Datentransparenz für die Realisierung antizipierter Bündelungseffekte signifikant zu steigern. Hierfür wurden Teams aus Einkäufern und Chemikern gebildet um sowohl die chemischen Rohstoffe als auch die indirekten Materialien einer intensiven Bearbeitung zugänglich zu machen. Für den Bereich indirektes Gemeinkostenmaterial wurde die bestehende e@class Systematik an die Bedürfnisse der einzelnen Töchter und des Einkaufs angepasst. Für die Rohstoffe wurden in einem mehrtägigen Workshop eine eigene Klassifizierungssystematik entwickelt und sukzessive implementiert. Begeleit wurden diese Maßnahmen durch die Einrichtung einer zentralen Koordinationseinheit mit direktem Berichtsweg in den Vorstand. Durch die Umsetzung der gemeinsam identifizierten Projekte konnten im ersten Jahr Kostensenkungen zwischen 8-12 % vom jährlichen Einkaufsvolumen durch Bedarfsbündelung und gemeinsamen Auftritt im Markt realisiert werden.

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