[06.04.2021]
Automobilhersteller und ihre Zulieferer streben höchstmögliche Flexibilität bei der Einrichtung ihrer Produktionsstrukturen an. Das primäre Ziel ist die Vermeidung und Reduzierung von Werkskomplexität, um mehrere unterschiedliche Materialströme und damit verbunden vielfältige Derivate abbilden zu können. Wesentliche Voraussetzungen hierfür sind ein ausreichender Modularisierungsgrad der Produktarchitekturen sowie ein intelligentes Montage- und Logistikkonzept zur effektiven und effizienten Abwicklung der Wertschöpfungsprozesse. Die Einrichtung eines Montage- und Logistikcenters stellt einen probaten Lösungsansatz zur Zielerreichung dar.
In den Fallbeispielen handelt es sich um Unternehmen der Automobil- und der Automobilzulieferindustrie, welche vor der Problemstellung immer komplexerer Wertschöpfungsketten stehen. Trends wie die zunehmende Digitalisierung, der Wandel hin zur Elektromobilität und der intensive Wettbewerb zwingen zu neuen Lösungsansätzen bei der Planung und Auslegung zukünftiger Werksstrukturen. Die vorrangigen Zielsetzungen bestehen in der Sicherstellung einer hohen Flexibilität und in der Vermeidung von Komplexität, um variantenreiche Produktionsprogramme in den Montagewerken wirtschaftlich abbilden zu können.
Zur Zielerreichung bietet sich die Einrichtung von Montage- und Logistikcentern innerhalb oder außerhalb der eigentlichen Werksflächen an, um die Wertschöpfungsorientierung am Hauptband zu maximieren. In einem solchen Center werden Montage- und Logistikaktivitäten gebündelt, die nicht zwingend in räumlicher Nähe des Montagehauptbands durchgeführt werden müssen. Beispielsweise können vielfältige Vormontage-Umfänge in einem solchen Center montiert werden, ohne dass dadurch eine Einschränkung des Haupttaktes gegeben ist. Auf diese Weise können am Haupttakt des Montagebandes wertvolle Flächen eingespart und komplexe Materialflüsse vermieden werden. Dies trägt zu einer erheblichen Verbesserung und Stabilisierung des Montagesystems bei. Eine wesentliche Voraussetzung hierfür ist die ausreichende Produktmodularisierung der Fahrzeugarchitekturen. Sie ermöglicht einen hohen Integrationsgrad von Bauteilen in separaten Vormontagen und somit eine effizientere Logistik. Gleichzeitig ermöglicht sie den kompakten Bau neuer Werke durch eine Flächenreduzierung für Leistungsumfänge, die ausgelagert werden.
Ausgangspunkt des Vorgehens ist die Analyse der zugrundeliegenden Planungsprämissen für die Werksstrukturen. Die Idee ist, neue Produktarchitekturen auf derselben Montagelinie zu fertigen. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, einen oder mehrere Materialströme von verschiedenen Lieferanten im Werk abzubilden. Dies führt zu steigendem Flächen- und Platzbedarf für die Materialbereitstellung sowie komplexeren logistischen Anlieferprozessen. Aus diesen Planungsanforderungen ergeben sich zwei Optionen. Die erste Option ist eine flächenmäßige Vergrößerung von Hauptmontagewerken mit einer höheren Anzahl an Montagetakten. Die zweite Option ist der möglichst kompakte Bau der Hauptmontagewerke mit einer maximalen Komprimierung dieser Takte und einer Auslagerung von Montage- und Logistikprozessen in ein angeschlossenes, separates Montage- und Logistikcenter. Aus Kosten- und Qualitätsgründen ist die Wahl der zweiten Option für viele Automobilhersteller interessant.
In den durchgeführten Projekten hat zunächst eine detaillierte Analyse der Produktarchitekturen im Hinblick auf deren Modularisierungsgrad zu erfolgen. Viele größere Module wie etwa das Cockpit- oder Frontendmodul werden bereits heute in separaten Vormontagen erzeugt und im Anschluss an das Hauptband für den Einbau in das Fahrzeug befördert. Darüber hinaus wurden in vielfältigen Projekten jedoch noch weitere Module identifiziert, die außerhalb der Montagezone des Hauptbandes vormontiert werden können. Ein Benchmarking mit Wettbewerbern liefert hierzu wesentliche Erkenntnisse, die auf die eigenen Fahrzeugarchitekturen adaptiert werden können. Der Bau eines Montage- und Logistikcenters neben dem eigentlichen Montagewerk bietet die Chance, viele Modularisierungsumfänge zu bündeln und dort separat vorzumontieren. Neben den Vormontagen können hier auch Logistik- und Sequenzierungsdienstleistungen durchgeführt werden. Ein solches Logistikcenter leistet auch einen signifikanten Beitrag zur Erhöhung der OEE im Werk.
Im Bewertungsverfahren werden alle montage- und logistikbezogenen Einmalinvestitionen für den Bau und die Einrichtung der technischen Infrastrukturen sowie die variablen Herstellkosten berücksichtigt. Mittels der Kapitalwertmethode erfolgt eine Diskontierung der Zahlungsströme entlang der Jahre und die Ermittlung des Kapitalwertes zum Zeitpunkt t=0. Für alle Module werden die zwei Szenarien einer bandnahen Anordnung von Vormontageeinheiten im Montagewerk sowie eine Anordnung dieser Einheiten im Logistikcenter gegenübergestellt. Das Ergebnis der Berechnungen zeigt, dass ein Logistikcenter sowohl in Eigen- als auch in Fremdleistung Potenziale für Kostensenkungen beinhaltet. Einige Kostenvorteile ergeben sich durch geringere Flächenbedarfe und Flächenkosten. Gleichzeitig ermöglicht die räumliche Konzentration von Vormontagen Einsparungen im direkten wie indirekten Personalbereich.
Ein weiterer entscheidender Vorteil liegt in der Entkopplung von Vormontageumfängen vom Hauptband. Das Logistikcenter wirkt in diesem Kontext wie ein Puffer, der eine fehlerfreie und sequenzgenaue Anlieferung der benötigten Materialien an das Hauptband sicherstellt. Bei Qualitätsproblemen oder Fehlteilen bleibt mehr Zeit, um Abstellmaßnahmen einzuleiten. Dadurch wird gewährleistet, dass ein etwaiges Stillstehen des Hauptbandes und damit verbunden ein Produktivitätsverlust vermieden werden. Neben den Produktivitätsvorteilen leistet ein solches Center einen erheblichen Beitrag zur Reduzierung der Werkskomplexität. Die Materialströme werden so gesteuert, dass nur noch eine sequenzgenaue Anlieferung am Hauptband erfolgt. Eine sortenreine Bereitstellung von Material und damit verbundene hohe Bestände am Hauptband werden vermieden.
Die Sequenzierung der Teileumfänge erfolgt im Logistikcenter. Somit können auch mehrere Materialströme bei unterschiedlichen Fahrzeugderivaten abgebildet werden, ohne dass die Wertstromkomplexität am Hauptband erhöht wird. Auf diese Weise verbessert sich auch die Flexibilität bei der möglichen Produktion weiterer Fahrzeugvarianten. Prozesse können einfacher umgestellt werden, ohne dass umfangreiche Planungen erforderlich werden. Nicht zuletzt erleichtert das Logistikcenter die Integration von Fremddienstleistern, da diese nicht im technologisch hochsensiblen Bereich des Hauptwerkes stattfinden muss. Neben den betriebswirtschaftlichen Berechnungen zu den Kosten- und Produktivitätseffekten werden Argumentenbilanzen aufgestellt, um qualitative Aspekte der Etablierung eines solchen Centers zu würdigen. In diesem Zusammenhang spielt insbesondere das Thema Risikoreduktion eine tragende Rolle, welches durch die Komplexitätsreduktion und die Flexibilitätssteigerung erreicht wird.
Die Potenziale manifestieren sich in signifikanten Kosteneinsparungen. Dies ist vor allem auf die Flächenreduzierung in den Montagelinien um bis zu 11% zurückzuführen, sodass ein kompakterer Bau von Montagen möglich wird. Daneben kann eine Auslastungssteigerung durch Bündelung von Vormontagen insbesondere bei Kleinstmodulen um bis zu 10% erreicht werden. Die räumliche Konzentration der Vormontagen verbessert die Personaleinsatzflexibilität und reduziert den Gemeinkostenaufwand. Die Kanalisierung der Materialströme vermindert Handlingaufwand am Montageband, wodurch Bestände und Logistiktätigkeiten reduziert werden können. Die OEE im Montageband kann signifikant verbessert werden, da viele Störungsquellen im Bereich der qualitätsgerechten Materialversorgung eliminiert werden. Weiterhin lassen sich Planungskosten um bis zu 15%, Gemeinkosten um bis zu 6% senken. Bei einer möglichen Fremdvergabe an einen Montage- oder Logistikdienstleister ergeben sich weitere Kosteneinspareffekte. Nicht zuletzt steigt auch die Qualität der Leistungserbringung, da eine vom Hauptmontageband entkoppelte Montage optimierte Qualitätsregelkreise aufbauen kann, die nicht an den Takt des Montagebandes gebunden sind.