[10.08.2018]
Spätestens mit dem Reaktorunfall von Fukushima im Jahr 2011 und der seither wesentlich beschleunigten Energiewende, wurden die über Jahrzehnte geltenden Gesetzmäßigkeiten und Bedingungen wie ein konstanter berechenbarer Markt mit kalkulierbaren Planungszeiträumen obsolet. Der politische und gesellschaftlich gewollte Vorrang der erneuerbaren Energien, die Vermeidung von Treibhausgasemissionen sowie die Abschaltung von Atomkraftwerken erhöhten den Druck auf die angestammten Geschäftsmodelle der Energieversorgungsunternehmen. Bereits durch die Liberalisierung der Energiemärkte, Ende der Neunziger Jahre, konnten Endverbraucher ihre Energieversorgung in die eigenen Hände nehmen. Die Loyalität zu ihren Versorgern schwand und das Marktumfeld der Energiewirtschaft begann sich zu verändern. Die Situation der Energieversorger verschärft sich zudem aufgrund technologischer Fortschritte und des Megatrends der Digitalisierung. Aufgrund der Vielzahl an tiefgreifenden Veränderungen dieser Branche wird derzeit von einer Transformation der Energiewirtschaft gesprochen. Unternehmen müssen sich daher in bestimmtem Maße von reinen Energieversorgern zu Energiedienstleistern transformieren. Der Handlungsdruck der etablierten Energieversorgungsunternehmen sich neu zu erfinden ist enorm, da bereits branchenfremde Unternehmen versuchen den wachsenden Markt der Energiedienstleistungen zu besetzen.
Durch Anpassungen, Adaptionen oder gar die Schaffung gänzlich neuer Geschäftsmodelle kann auf die Transformation der Energiewirtschaft und den steigenden Wettbewerbsdruck reagiert werden. Diese sogenannten Geschäftsmodellinnovationen helfen sowohl etablierten Unternehmen ihre Geschäftsmodelle neu zu konfigurieren als auch Wettbewerbern die bestehende Branchenlogik grundlegend zu verändern. Geschäftsmodellinnovationen können somit den Erfolgsschlüssel im transformierten Markt der Energiewirtschaft darstellen. Aufgrund der Themenrelevanz wurde auf der Energiefachmesse E-World in Essen (06.02.2018-08.02.2018) eine Befragung an 26 Experten aus der Energiewirtschaft durchgeführt. Hierbei wurden acht Energieversorger, acht Energiedienstleister und neun Unternehmen aus der IT-Branche mit Produkten auf dem Energiemarkt gebeten, die Relevanz der einzelnen Geschäftsmodellkomponenten des Business Model Canvas zu bewerten. Zusammenfassend konnte festgestellt werden, dass alle neun Geschäftsmodellkomponenten für die Konfiguration eines Geschäftsmodells relevant und bedeutend sind.
Die Ausprägungen des Netzdiagramms in Abbildung 1 zeigen, dass es sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede bezüglich der Relevanz der neun Geschäftsmodellkomponenten für die Erstellung von Geschäftsmodellen gibt. So ist für die Befragungspersonen aller drei Branchen eine solide „Kostenstruktur“ in etwa gleich relevant. Ebenso ist die Komponente „Kundenbeziehung“ für alle Cluster von sehr hoher Relevanz. Auf ähnlichem Zustimmungsniveau sind die Befragungspersonen aus den verschiedenen Branchen auch hinsichtlich der Bedeutung von „Einnahmequellen“. Die IT-Branche sieht hier sogar eine sehr große Relevanz. Bezüglich der weiteren Bausteine ergeben sich zwischen den drei Clustern jedoch Unterschiede. So ist beispielsweise für Energieversorger die optimale Ausprägung der Komponente „Kanäle“ besonders wichtig, da sie in diesem Bereich viel Aufholpotenzial aufweisen. Für IT-Unternehmen spielt dieser Baustein eine eher untergeordnete Rolle. Zudem ist für Energieversorger die Komponente „Kundensegmente“ überdurchschnittlich relevant. IT-Unternehmen weisen hier geringere Mittelwerte auf. Energiedienstleister sehen diesen Baustein sogar indifferent, also weder als relevant noch als irrelevant an. Weniger bedeutend sind für Energieversorger die Geschäftsmodellkomponente „Schlüsselpartnerschaften“. Bei den Befragungspersonen dieses Clusters kommt der Baustein Schlüsselpartnerschaften nur auf einen mittleren Wert. Er wird somit als eher nicht relevant eingeordnet. Dies wird von den Befragten der zwei anderen Branchen anders gesehen. Spezialisierte Energiedienstleister ordnen dieser Kategorie einen mittleren Wert zu. Bei den Unternehmen aus dem Bereich IT kommt dieser Baustein sogar auf einen durchschnittlichen Relevanzwert. Besonderen Wert legen IT-Unternehmen zudem auch auf die richtige Konfiguration der „Schlüsselressourcen“, die Unternehmen dazu befähigen, ihr Geschäftsmodell überhaupt auszuüben. Es wird hier ein Spitzenwert erreicht. Jedoch sehen auch Energieversorger und Energiedienstleister eine sehr hohe Relevanz dieser Komponente, jedoch auf geringerem Durchschnittslevel.
Ausgehend von den gewonnenen Ergebnissen der empirischen Analyse kann behauptet werden, dass die Konfiguration von Geschäftsmodellen stark davon abhängt, aus welcher der drei betrachteten Branchen das jeweilige Unternehmen kommt. Besonders auffallend sind die Unterschiede zwischen IT-Unternehmen auf der einen Seite, sowie Energieversorgern und spezialisierten Energiedienstleistern auf der anderen. Für Energieversorgungsunternehmen bzw. Energiedienstleister ist die Produktion oder deren Begleitung nach wie vor eine zu beachtende „Schlüsselaktivität“. Anlagen und Kraftwerke spielen innerhalb beider Branchen zwar nicht mehr die dominante Rolle, wie vor der Transformation, werden aber bei der Erstellung von Geschäftsmodellen miteinbezogen. Beispiele der Veränderung aus dem Energiedienstleistungsfeld sind virtuelle Kraftwerke oder auch verschiedene Contracting Modelle. Einen direkten Bezug zur Produktion können IT-Unternehmen nicht vorweisen. In dieser Branche stehen eher digitale, virtuelle, problemlösende Handlungen im Vordergrund. Für Energieversorger und spezialisierte Energiedienstleister steht im Bereich der Schlüsselressourcen ein homogener Mix aus menschlichen, technologischen und physischen Ressourcen im Betrachtungsfeld der Geschäftsmodellkonfiguration. In der IT-Branche hingegen besitzen physische Ressourcen kaum eine Bedeutung, wohingegen technologische Ressourcen, Daten, Patente und menschliche Fähigkeiten umso mehr in den Fokus des Geschäftsmodells gestellt werden. Diese konträren Ausrichtungen resultieren schließlich in verschiedenen Kosten- und Einnahmestrukturen. Klassische Kosten für Produktion oder Miete belasten lediglich die Geschäftsmodelle von Energieversorgern. Bei der Entwicklung von plattformbasierter, lösungsorientierter Software entstehen derartige Aufwände nicht. Die einfache Verbreitung und Reproduktion von Software bzw. Apps macht für die IT-Branche auch den Kostenfaktor „Logistik“ obsolet. Dafür stehen bei IT-Unternehmen umso mehr die Kosten für geeignetes Personal und F&E im Zentrum dieser Geschäftsmodellkomponente. Enorm sind auch die Unterschiede des Business Model Canvas Bausteins „Einnahmestruktur“. Unternehmen der IT-Branche konfigurieren ihr Geschäftsmodell so, dass sie hauptsächlich aus Lizenz- oder Nutzungsgebühren Einnahmen generieren. Auch Energiedienstleister bringen über Service-Level-Agreements ihre Dienstleistungsangebote an den Kunden. Sie unterscheiden sich damit maßgeblich von Energieversorgungsunternehmen, die weiterhin auf Energieabnahmeverträge setzen. Ebenfalls ist die Bereitschaft von Energiedienstleistern, strategische Allianzen, Joint Ventures oder Kooperationen einzugehen, deutlich höher als bei Energieversorgern. Gerade im Fall von komplexen Dienstleistungen tragen Partnerschaften zur Erweiterung des Angebots und Kundennutzens bei und haben so einen entscheidenden Einfluss zur nachhaltigen Verbesserung des Geschäftsmodells.
Um durch Anpassungen, Adaptionen oder gar der Schaffung gänzlich neuer Geschäftsmodelle auf die andauernde Transformation der Energiewirtschaft reagieren zu können, sollten Unternehmen verstehen, wie Geschäftsmodelle funktionieren. Das Business Model Canvas, welches neun Geschäftsmodellkomponenten aufgreift, kann hierbei ein nützliches Modell darstellen. Zusammen mit einem geeigneten Methodenbaukasten können Potenziale und Optimierungen an den bestehenden Ausprägungen des Geschäftsmodells vorgenommen werden. Bei Energiedienstleistungen und der IT-Branche steht besonders die Kundenorientierung im Vordergrund. Produktive Tätigkeiten sind bei Energiedienstleistungen kaum gefragt. Vielmehr werden problemlösende Aktivitäten von den Marktteilnehmern gefordert. Die „eine“ ideale Ausprägung eines Geschäftsmodells gibt es unterdessen nicht. Je nach Branche und Etablierungsgrad des Unternehmens weichen die Ausprägungen der Geschäftsmodellkomponenten voneinander ab. IT-Unternehmen setzen beispielsweise andere Schwerpunkte bezüglich „Wertangebot“ und „Einnahmequellen“ als Energieversorger. Start-ups und etablierte Unternehmen unterscheiden sich unterdessen besonders bezüglich ihrer „Schlüsselressourcen“ und „Kostenstruktur“. Dennoch bleibt festzuhalten, dass der wichtigste neue Markt in der Energiewirtschaft die Energiedienstleistung ist. Verschiedenste Marktteilnehmer, u.a. auch branchenfremde Unternehmen versuchen sich auf dem Energiedienstleistungsmarkt über innovative Lösungsangebote zu positionieren. Wie eine erfolgreiche Positionierung aussieht, lässt sich anhand der unterschiedlichen Konfigurationen erst nach einer bestimmten Zeit sagen. Konsens besteht lediglich darin, dass der Kunde im Mittelpunkt des Geschäftsmodells stehen muss und die zukünftigen Produktinnovationen maßgeblich beeinflussen wird.