[16.09.2019]
Im aktuellen Fallbeispiel handelt es sich um ein Unternehmen aus der Bauindustrie mit mehreren Projekten im Bereich der modularen Gebäudenachverdichtung. An die Bauvorhaben werden hohe Anforderungen in Bezug auf Zeit, Kosten und Qualität gestellt, da sie zumeist in innerstädtischen Lagen realisiert werden. Die Baustellenprozesse müssen so organisiert werden, dass die Beeinträchtigungen für die Anwohner möglichst gering sind und ein schneller Baufortschritt erfolgen kann. Gerade der Auftragsabwicklungsprozess von Baustellen bei der modularen Gebäudenachverdichtung hat erheblichen Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit der Projekte. Die Zielsetzung besteht darin, eine phasenübergreifende Auftragsabwicklung sicherzustellen. Dies bedeutet, dass von der Grobplanung bis zur konkreten Leistungserbringung des Bauvorhabens alle Einzelfunktionen wie Produktion, Logistik und Montage schnittstellenübergreifend und gesamtheitlich koordiniert werden, um Blindleistung und Verschwendung in Form von Redundanzen, Doppelarbeiten oder unabgestimmten Kapazitäten aus dem Auftragsabwicklungsprozess zu minimieren. Ein probater Lösungsansatz hierfür ist die Einrichtung eines Auftragsabwicklungszentrums.
Um diese zielgerichtete Koordination der Bauaktivitäten sicherzustellen, sind die in der Industrie bewährten Ansätze für eine schlanke Auftragsabwicklung zugrunde zu legen und alle Anstrengungen darauf zu richten, Verschwendung und Blindleistung aus diesem Prozess zu entfernen. Bei der modularen Baustellenorganisation bietet sich die Chance, auf bewährte Konzepte der Auftragsabwicklung in Industrien wie etwa der Automobilwirtschaft zurückzugreifen. Charakteristisch für das modulare Bauen ist die Möglichkeit, Arbeitsschritte zu parallelisieren und unabhängig voneinander durchzuführen. Analog zum Fließband in der Automobilindustrie werden einzelne Module vorgefertigt an die Baustelle angeliefert und montiert.
Erfolgsentscheidend ist die effektive Koordinierung der Einzelaktivitäten. Die Anlehnung an Best Practices in der Automobilindustrie ermöglicht die Identifikation einiger passender Ansätze zur schlanken und verschwendungsfreien Gestaltung der Auftragsabwicklung. In diesem Kontext gilt es zunächst, innovative Leitlinien der Auftragsabwicklung zu formulieren, um den Gestaltungsrahmen abzustecken. Die Leitlinien sind darauf gerichtet, Kosten-, Zeit-, Qualitäts-, und Organisationsziele zu erreichen. Eine zentrale Leitlinie ist die Prozessorientierung. Sie folgt der Logik des Flussprinzips von Material wie Information, um Barrieren und Hindernisse aus den Arbeitsschritten zu entfernen und eine kundenwertorientierte Prozessgestaltung zu realisieren. Prozessorientierung impliziert, alle Aktivitäten auf die Erzielung eines Kundennutzens auszurichten und sämtliche überflüssigen oder fehlerhaften Aktivitäten zu vermeiden. Sie geht einher mit der zweiten Leitlinie der Kunden- und Wertschöpfungsorientierung. Diese besagt, dass der Fokus auf wertsteigernde Tätigkeiten zu richten ist, die einen Wertschöpfungsbeitrag aufweisen, während Verschwendung und Blindleistung zu vermeiden sind. Kennzeichnend hierfür sind unter anderem die Vermeidung von Redundanzen und Doppelarbeiten, Weglassen von nicht wertsteigernden Teilprozessen, Parallelisierung von Abläufen, Einführung selbststeuernder Regelkreise und die Einrichtung eines effektiven Prozesscontrollings. Die Qualitätsorientierung ist eine weitere wichtige Leitlinie. Sie besagt, dass sämtliche durchgeführten Prozessschritte nur dann eine Berechtigung haben, wenn sie die Kundenanforderungen erfüllen. Diesem Ansatz liegt die Annahme der Fehlerfreiheit von Prozessabläufen zugrunde. Sämtliche Störfaktoren müssen aus den Geschäftsprozessen verbannt werden. Die Qualitätsorientierung zielt auf die Realisierung einer Null-Fehler-Strategie. Kennzeichen dieser Strategie sind umfassende Prävention, stabile Fertigungs- und Montageprozesse sowie stabile administrative Prozesse.
Die Auftragsabwicklung auf der modularen Baustelle erfordert Informationstransparenz. Diese ist der Schlüssel für die erfolgreiche Koordination der einzelnen Gewerke und der angelieferten Bauteile. Sie erfordert eine Philosophie des ganzheitlichen Informationsaustauschs zwischen den involvierten Akteuren der Baustelle und einen konsequenten Abbau von Informationsasymmetrien. Die IT-Unterstützung bei Baustellenprozessen ist ein wesentlicher Aspekt, um die Baustellenabwicklung zu modularisieren. Eine entsprechende IT-Landschaft ermöglicht es, die Organisation und Koordination digital zu planen und zu simulieren. Der Einsatz von Informationstechnologie unterstützt alle Abläufe der Auftragsbearbeitung und erhöht die Transparenz über die einzelnen Vorgänge. Die Leitlinien schaffen einen Handlungsrahmen für die konkrete Gestaltung des kompletten Auftragsabwicklungsprozesses. Der Auftragsabwicklungsprozess beinhaltet alle Phasen von der Planung über die Ausführung bis hin zur Kontrolle der auf der Baustelle auszuführenden Tätigkeiten.
Bei der modularen Gebäudenachverdichtung stellt sich der Auftragsabwicklungsprozess komplex dar. Es handelt sich in diesem Falle nicht um einen einfachen Bestellprozess eines Produktes, welcher in einem überschaubaren Zeitraum mit wenigen Schnittstellen abgewickelt werden kann. Vielmehr geht es um die Organisation eines komplexen Baustellenprojektes mit einer Vielzahl an unterschiedlichen beteiligten Stakeholdern, deren Einzelleistungen zielgerichtet zusammengeführt werden müssen, um einen wirtschaftlichen Vollzug der Baustellenaktivitäten realisieren zu können. Um konkurrierende Zielbeziehungen zwischen einzelnen Funktionen wie Planung, Konstruktion, Fertigung oder Logistik auszuschließen, bietet sich das Konzept des Auftragsabwicklungszentrums an. Dies ist vergleichbar mit einer Art Leitstand, wie dieser in Fertigungs- und Montagebereichen vorzufinden ist. Charakteristische Elemente eines Auftragsabwicklungszentrums sind Segmentierung, Problemlösungsgruppen, Visualisierung und Zielvereinbarungen. Die Idee besteht darin, alle Qualifikationen und Verantwortlichkeiten des Gesamtprozesses zusammenzuführen, um schnelle Entscheidungen treffen und Problemlösungen herbeiführen zu können. Die Dezentralisierung von Entscheidungen innerhalb des Auftragsabwicklungszentrums erhöht den Handlungsspielraum der Akteure und führt zu schnelleren Problembehebungen im Falle auftretender Störungen. Die Prozessverantwortlichen sind dort positioniert, wo die Kundenanforderungen auf die verschiedenen Fachbereiche treffen. Sie verfügen über die notwendigen Informationen, um Kundenprobleme zusammen mit den Funktionsverantwortlichen schnell lösen zu können. Hier spielt die Informationstransparenz wiederum eine wichtige Rolle, da Prozessverantwortliche auf viele Informationsdatenbanken Zugriff haben.
Als kompetente Ansprechpartner sind Prozessverantwortliche stets aussagefähig und steuern den gesamten Arbeitsablauf in Form eines geschlossenen Rings. Im Auftragsabwicklungszentrum erfolgt darüber hinaus eine räumliche Integration der Aufgabenträger. Dies bewirkt die Verhinderung von Transport- und Liegezeiten durch Flussoptimierung von Informationen, eine schnellere und reibungslosere Abstimmung untereinander, gegenseitiges Lernen, gemeinsame Zielorientierung und unmittelbare Rückkopplung bei auftretenden Problemstellungen. Die Planung und Koordination im Auftragsabwicklungssegment ermöglicht eine genaue Bereitstellung der benötigten Informationen für die einzelnen Gewerke und Funktionen, sodass eine bessere Terminverbindlichkeit resultiert. Visualisierungstechniken helfen bei der Verstärkung kritischer Informationen, um eine hohe Aufmerksamkeit zu erzeugen. Die Bündelung unterschiedlicher Qualifikationen erlaubt die Zusammenstellung von Problemlösungsgruppen, die auch auf außergewöhnliche Ereignisse zügig reagieren können. Die beschriebenen Merkmale des Auftragsabwicklungszentrums haben sich in vielen Branchen und Industrien bewährt. Sie sind auch für den modularen Hausbau und für die modulare Gebäudenachverdichtung gut geeignet. Die unterschiedlichen Parteien wie Bauherren, Bauplaner, Grundstückseigentümer, Kapitalgeber und Bauunternehmer verfolgen eigene Interessen im Rahmen des Bauvorhabens. Die Interessenslagen müssen daher so gut wie möglich ausgeglichen und auf die Erzielung eines wirtschaftlichen Nutzens für alle Beteiligte ausgerichtet werden. Dies gelingt nur über eine intelligente Zusammenführung von qualifizierten Mitarbeitern im Rahmen des Auftragsabwicklungszentrums. Alle Funktionen von Fertigung, Logistik, Montage bis hin zur Qualitätssicherung finden Berücksichtigung, da das interne Kunden-Lieferanten-Prinzip entlang dem Auftragsabwicklungsprozess greift. Das Auftragsabwicklungszentrum löst konkurrierende Zielbeziehungen auf, weil es einen Interessensausgleich der integrierten Funktionen herbeiführt. Daneben werden Schnittstellenprobleme durch Beseitigung der funktionalen Organisationsform gelöst und eine durchgängige Prozessorientierung sichergestellt.
Die Potenziale manifestieren sich in einer signifikanten Beschleunigung des kompletten Bauvorhabens. Durch die Eliminierung von Verschwendung und Blindleistung aus den Baustellenprozessen können erhebliche Zeitvorteile im Vergleich zum konventionellen Hausbau realisiert werden. Die Zeitverkürzung geht einher mit Kostenvorteilen. Alle Ressourcen werden aufgrund des zügigen Baufortschritts wirtschaftlicher eingesetzt. Qualitätsmängel werden durch eine frühzeitige Koordination der Baustellenaktivitäten und eine hohe Informationstransparenz bei allen Stakeholdern behoben. Dies führt ebenfalls zu geringeren Kosten. Durch das Auftragsabwicklungszentrum wird der administrative Aufwand reduziert, da eine durchgängige Aufgabenbearbeitung in Komplettverantwortung gewährleistet ist.