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Gestaltung von Software-Produktordnungssystemen - Fallbeispiel: Betriebliche Anwendungssoftware

[29.10.2007]

Foto: alphaspirit / fotolia.com
Auch in der Softwareentwicklung ist eine optimale Wiederverwendung innerhalb der Produktprogramme von Softwareunternehmen zunehmend von Bedeutung, um effizient auf Kundenanforderungen und Marktveränderungen reagieren zu können. Den meisten Softwareunternehmen mangelt es jedoch an Methoden, um einen betriebswirtschaftlich optimalen Grad der Wiederverwendung innerhalb und zwischen verschiedenen Produktlinien identifizieren zu können. Auf Basis von Software-Produktordnungssystemen und Produktlinienansätzen, wie sie in der Industrie bereits erfolgreich eingesetzt werden, können in der Softwareentwicklung Kosteneinsparungen erzielt und die Wettbewerbsfähigkeit gesteigert werden. Die Vorgehensweise wird an einem Praxisbeispiel eines Herstellers betrieblicher Anwendungssoftware erläutert.

Auch Softwareunternehmen kommen aufgrund hoher Komplexität von Technologien und Produkten sowie der Vielfalt von Kundenanforderungen vermehrt in den Zielkonflikt, einerseits möglichst viele Produktvarianten anbieten zu können, gleichzeitig jedoch die Entwicklungskosten und Time-to-Market zu reduzieren. Die Implementierung einer systematischen Wiederverwendung im Unternehmen spielt dabei eine entscheidende Rolle. In vielen Softwareunternehmen wird zwar Wiederverwendung betrieben, es fehlt jedoch oft eine strukturierte Vorgehensweise zur systematischen Wiederverwendung, die auch eine betriebswirtschaftliche Bewertung beinhaltet.

Software-Produktordnungssysteme bieten hierfür ein umfassendes Konzept, durch das das Spannungsfeld zwischen Individualisierung der Softwareprodukte nach außen (zum Markt hin) und Standardisierung nach innen (im Unternehmen) gelöst werden kann. Bei der Gestaltung von Software-Produktordnungssystemen werden betriebswirtschaftliche Methoden, die in anderen Industriebranchen bereits seit langem erfolgreich sind, auf Software-Produkte adaptiert. Der Betrachtungsbereich bezieht sich dabei mehrdimensional auf ein gesamtes Produktprogramm.

Bei dem betrachteten Softwareunternehmen handelt es sich um einen Hersteller verschiedener betrieblicher Anwendungssoftware (Warenwirtschaftssysteme, Software für den Produktions- und Logistikbereich etc.). In mehreren getrennten Geschäftsbereichen sind umfangreiche Produktlinien entstanden, die jedoch zahlreiche ähnliche Funktionalitäten aufweisen. Im Rahmen von Standardisierungsbemühungen für das gesamte Produktprogramm wurden im Pilotuntersuchungs­bereich die graphischen Benutzeroberflächen neu entwickelt. Dabei sollten nicht nur moderne, plattformunabhängige Technologien verwendet werden, sondern auch einheitliche und einfach bedienbare Funktionalitäten zur Verfügung gestellt werden. Bei der Gestaltung des Software-Produktordnungssystems wurde strikt funktionsorientiert vorgegangen, d.h. der Untersuchungsbereich wurde mit Funktionen beschrieben, die die Software für den Benutzer erfüllen muss (z.B. „Editieren durch Eingabedialog über Tabelle"). Ein wichtiger Erfolgsgarant des Projektes war die interdisziplinäre Teamzusammensetzung aus Softwareentwicklung, Vertrieb/Marketing, Produktmanagement, Consulting und Service/Support, um unterschiedliche Sichtweisen berücksichtigen zu können. Die Vorgehensweise gliederte sich in sechs Schritte:

  1. Ermittlung der Kundenanforderungen
  2. Kostenschätzung der Funktionen
  3. Abwägung des Kosten-/Nutzenverhältnisses
  4. Spaltung und Bündelung der Funktionen
  5. Schnittstellentypisierung
  6. Ableitung von Handlungsempfehlungen

Die Ermittlung der Kundenanforderungen stellte die Ausgangsbasis zur Gestaltung eines Software-Produktordnungssystems dar. Dazu wurde eine Internet-basierte Conjoint Analyse verwendet, mit der Kunden u.a. bei Messen und Kundentagen befragt wurden. Mit Hilfe einer Function-Points-Analyse wurden die Entwicklungskosten für die betrachteten Funktionen bewertet. Dabei kann eine Funktion häufig in verschiedenen Ausprägungen realisiert werden, die entsprechend auch  unterschiedlich hohe Entwicklungsaufwände bedingen. Im dritten Schritt wurden die Kosten- und Nutzenaspekte wieder zusammengeführt. Die Verwendung des Zielkostenkontrolldiagramms zeigte auf, welche Funktionen in einem ausgewogenen Kosten-/Nutzenverhältnis stehen. Es wurden einige Funktionen identifiziert, die eine Gefahr von Over-Engineering beinhalten, d.h. es werden hohe Aufwände in der Softwareentwicklung geplant, obwohl die Kunden diesen Funktionen weniger Bedeutung beimessen. In diesen Fällen wird nun geprüft, ob diese (oder eine ähnliche) Funktionalität nicht durch eine kostengünstigere Zukaufkomponente realisiert werden kann. Im vierten Schritt wurden Spaltungs- und Bündelungstreiber analysiert. Diese Methoden gaben Aufschluss über einen möglichen anwendungsübergreifenden bzw. -spezifischen Einsatz einzelner Funktionen. Die Anwendung der Schnittstellentypisierung lieferte weitere Anhaltspunkte darüber, ob eine Funktion in eine Plattform integriert oder ob sie losgelöst von anderen Anwendungs­bestandteilen (z.B. als separates Modul) implementiert werden soll. Die Ergebnisse der verschiedenen Methoden wurden schließlich in einem Bewertungsverfahren zusammengeführt. In Workshops wurden daraus Handlungsempfehlungen hinsichtlich der Wiederverwendung und der Realisierung bei der Softwareentwicklung abgeleitet.

Die Gestaltung eines modernen Software-Produktordnungssystems zielt auf eine optimale Verknüpfung von Produktstandardisierung und -individualisierung in einem Softwareunternehmen. Durch die Anwendung der dargestellten Vorgehensweise konnte in dem betrachteten Unternehmen eine systematische Wiederverwendung in der Softwareentwicklung implementiert und Synergien zwischen zuvor vollkommen eigenständigen Produktbereichen initiiert werden. Zum Kunden hin konnte somit eine Standardisierung der verschiedenen Produkte erzielt werden. Durch die erhöhte Wiederverwendung können zudem Entwicklungszeiten und -kosten reduziert werden. Die Gestaltung des Software-Produktordnungssystems soll zukünftig auch auf weitere Produktbereiche des Unternehmens ausgedehnt werden.

Weiterführende Literatur:

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