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Internet-KANBAN in der Automobilindustrie

[19.09.2003]

Foto: Mimi Potter / fotolia.com
In den letzten Jahren zeigte sich, dass PPS- und ERP-Systeme oftmals nicht in der Lage sind, den tatsächlichen Kundenbedarf in Produktions- oder Lieferprogramme abzubilden. Diese Systeme basieren auf einer zentralen planbezogenen Steuerungsphilosophie. Ausgehend von Prognosen erfolgen Fertigungsaufträge, die nach dem Bring-Prinzip bearbeitet werden. Wie es sich in der Praxis zeigt, kann damit die Teileverfügbarkeit nicht gewährleistet werden. Oft ist zu hören: ‘Die Läger laufen über, aber das was gebraucht wird, fehlt.‘ Diese Problematik gilt umso mehr bei Kaufteilen, da Unsicherheiten und Risiken einer Teile-Nichtverfügbarkeit aufgrund der größeren Abhängigkeiten verstärkt sind. Eine Fallstudie aus der Automobilbranche zeigt, wie dieser Problematik durch Einführung von KANBAN an der Kunden-Lieferanten-Schnittstelle entgegnet wurde. Um einen einfachen, sicheren und zügigen Informationsfluss zu gewährleisten, wurde eine Internet-Lösung implementiert. Bestände konnten dadurch reduziert werden bei einer gleichzeitigen Erhöhung der Teileverfügbarkeit.

Ausgangssituation

Nachdem vielfach interne Prozesse bereits intensiv betrachtet wurden, gerät immer mehr die Kunden-Lieferanten-Schnittstelle in den Fokus von Optimierungsprojekten. Bei einem Unternehmen der Automobilindustrie war die Situation vorzufinden, dass den Lieferanten eine Vorausschau zur Verfügung gestellt wurde, die im Vergleich mit der tatsächlichen Produktion des Kunden erhebliche Abweichungen aufwies. Desweiteren zeigte sich, dass die Disziplin der Lieferanten hinsichtlich Mengen- und Termintreue begrenzt war. So kam es immer wieder trotz hoher Bestände partiell zu Engpasssituationen, die Expressaufträge auslösten ("Helikopter-Aufträge") und sogar zum Bandstillstand führten.

Konzept und Umsetzung

KANBAN ist eine dezentrale Produktionssteuerung, die auf dem Pull-Prinzip basiert. Das bedeutet, eine Produktion wird nur durch Verbrauch in der nachgelagerten Stelle ausgelöst. Ausgangspunkt für einen Lieferauftrag ist somit der Kunde - die Produktion erfolgt kundenorientiert. Dies geschieht über Selbststeuerung des produzierenden Bereichs durch klare Regeln und visuelle Anzeigen.

Durch eine elektronische Unterstützung kann KANBAN selbst bei großen räumlichen Entfernungen oder einer hohen Variantenvielfalt realisiert werden. Die Datenübertragung läßt sich durch Nutzung des Internet mit begrenztem Aufwand realisieren, ohne eine investitionsbedingte Abhängigkeit zum Lieferanten aufzubauen. Internet-KANBAN ermöglicht dem Lieferant, über Passwort-Zugang den aktuellen Auftrag einzusehen. Bei Entnahme aus dem KANBAN-Puffer durch den Kunden werden die Behälter gescannt. Der Verbrauch wird täglich in einer Datenbank gesammelt und zu einem definierten Zeitpunkt auf der Internet-Seite freigegeben. Der Lieferant ist verpflichtet, die verbrauchte Menge in einer definierten Wiederbeschaffungszeit zu liefern. Transportentfernung und wirtschaftliche Transportlosgröße gehen in die Bestimmung der Wiederbeschaffungszeit ein. Die gelieferten Behälter werden ebenfalls gescannt - die Daten werden in einem KANBAN-Controlling-Tool ausgewertet, so dass Termin- und Mengentreue des Lieferanten in einer übersichtlichen Form beim Kunden einzusehen sind. Erfolgsentscheidend ist die Lieferdisziplin des Lieferanten. Deshalb ist es nötig, ihn frühzeitig in das Projekt zu integrieren und ihm seine Vorteile auch zu kommunizieren.

In der vorliegenden Fallstudie wurde im ersten Schritt der Internet-Kanban-Einführung die Kanban-Fähigkeit der Baugruppen durch eine Verbrauchsstetigkeits- und Wertigkeitsanalyse durchgeführt. Die Lieferanten-KANBAN-Fähigkeit wurde auf Basis der bestehenden Erfahrungen und einer Abschätzung des Lieferantenentwicklungspotenzials ermittelt. Im zweiten Schritt wurde die KANBAN-Einführung vorbereitet. Es erfolgte eine Regelkreis-Systemdimensionierung, die Verbrauchsschwankungs- und Sicherheitsaspekte berücksichtigte. Als Informationsmedium für die KANBAN-Aufträge wurde ein Portal gestaltet, das komfortabel und sicher (Absicherung der internen Datenbank durch Firewall) die Verbrauchsdaten zur Verfügung stellt. Ein wichtiger Aspekt stellte die Lieferantenintegration und die Schulung der internen Mitarbeiter durch Workshops und Training dar, da die Einhaltung der KANBAN-Regeln einen entscheidenden Erfolgsfaktor des Projektes darstellt.

Potenziale

Durch Internet-KANBAN konnten die Bestände um 60 Prozent reduziert werden. Gleichzeitig reduzierte sich der operative Dispositionsaufwand um 75 Prozent, da dieser sich bei KANBAN lediglich darauf beschränkt, die Dimensionierung des KANBAN-Regelkreises im Blick zu behalten und eventuell anfallende Sonderaufträge mit dem Lieferanten zu klären. Außerdem konnten Expressaufträge, die zuvor den Regelfall darstellten, fast vollständig beseitigt werden.

Die Vorteile beim Lieferanten liegen in einer - im Vergleich zum herkömmlichen Dispositionsprinzip - verbesserten Planungsgrundlage durch einen konstanteren Bedarfsverlauf, da der tatsächliche Verbrauch maßgebend ist und nicht eine Planungsgröße, die durch Fehlprognosen und Eilaufträgen verwirbelt wird. Internet-Kanban ist aber auch Ausgangspunkt weiterer vielfältiger positiver Effekte. Eine engere Lieferantenbeziehung führt dabei nicht nur zu einer Erhöhung der logistischen Performance, sondern auch zu kontinuierlichen Verbesserungen im Bereich Qualität.

Literatur

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