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Komplexitätsindex als Entscheidungsgrundlage für die Produktprogrammgestaltung

[12.11.2010]

Foto: alphaspirit / fotolia.com

Durch den wachsenden Wettbewerbsdruck in globalisierten und häufig bereits gesättigten Märkten gewinnt eine systematische Gestaltung und (Neu-) Ausrichtung des Produktprogramms zunehmend an Bedeutung. Der Herausforderung, das Produktprogramm einerseits auszuweiten, andererseits aber die damit einhergehende Komplexität zu beherrschen, stellen sich zahlreiche Unternehmen allerdings immer noch zu intuitiv, zu wenig strukturiert – oder gar nicht. Für eine möglichst effiziente und effektive Gestaltung des Produktprogramms ist es erforderlich, die wesentlichen externen und internen Komplexitätstreiber messbar zu machen, deren Wirkbeziehungen zu analysieren sowie situationsspezifische Handlungsempfehlungen zur Optimierung des Produktprogramms abzuleiten. Ein Komplexitätsindex-Modell, das auch in einem IT-Tool hinterlegt ist, kann hierbei als Entscheidungsgrundlage für die Produktprogrammgestaltung verwendet werden.

In zunehmend gesättigten Märkten bei gleichzeitig starker internationaler Konkurrenz kommt einer systematischen Produktprogrammgestaltung eine immer wichtigere und wett­be­werbs­ent­schei­dende Rolle zu. Häufig wird dies in Unternehmen jedoch vorwiegend intuitiv und wenig strukturiert vorgenommen. Die Herausforderung, insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen, besteht darin, einerseits die Innovationsfähigkeit für weiteres Wachstum und zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit auszubauen, andererseits aber auch die damit einhergehende Steigerung der Produkt- und Variantenvielfalt zu beherrschen. Um die Bewältigung dieses Dilemmas für Unternehmen zu vereinfachen wurde ein Komplexitätskostenindex-Modell entwickelt.

Dieses im Rahmen eines Projektes erarbeitete Modell zielt auf die Schaffung einer betriebswirtschaftlichen, rationalen Entscheidungsgrundlage für die Produktprogrammgestaltung (vgl. Abb. 1). Um die sehr vielfältigen Wirkbeziehungen von Komplexität in Unternehmen identifizierbar und transparent messbar zu machen, galt es, ein möglichst allgemeingültiges Modell zu entwickeln. Eine große Herausforderung lag dabei in der Erarbeitung eines systematischen und umfassenden Konzeptes zur Quantifizierbarkeit von Komplexität. Auf Basis von Expertengesprächen und einer umfangreichen Unternehmensbefragung – insbesondere bei kleinen und mittelständischen Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen – wurden zunächst relevante Komplexitätstreiber identifiziert und deren vielfältigen Wirkbeziehungen untereinander und hinsichtlich der Produktprogrammgestaltung analysiert. Dabei wurden die wesentlichen externen Komplexitätstreiber, die die Produktprogrammgestaltung beeinflussen, in einem externen Komplexitätsindex Ke zusammengeführt, die internen Einflüsse in einem internen Komplexitätsindex Ki.

Abb. 1: Komplexitätsindex als Entscheidungsgrundlage zur Produktprogrammgestaltung

Die Zusammenführung unternehmensspezifisch unterschiedlich ausgeprägter – und dementsprechend gewichteter – Komplexitätstreiber erfolgt mit Hilfe eines unter­neh­mens­in­di­viduellen Mix aus bewährten betriebswirtschaftlichen Methoden. Für die Messbarkeit der externen Vielfalt lässt sich insbesondere eine Portfolioanalyse mittels Euklidischem Distanzmaß einsetzen, um Überschneidungen, Lücken und die strategische Ausrichtung des Produktprogramms im Vergleich zum Wettbewerb und unter Berücksichtigung der Kundenanforderungen zu bewerten. Zur Quantifizierung der internen Vielfalt hingegen bietet sich vor allem die Einführung einer Komplexitätskostenrechnung an – einer speziellen Form der Prozesskostenrechnung, die auf die Erfassung der Auswirkungen spezifischer Komplexitätstreiber auf die Aufwände in unter­neh­mens­internen Prozesse abzielt. Neben der Quantifizierung der Komplexität anhand der Anwendung dieser Methoden werden auch die unterschiedlichen Komplexitätstreiber situationsspezifisch gewichtet. So entstehen jeweils ein externer und ein interner Komplexitätsindex Ke und Ki, die ein unternehmensindividuelles Maß für die Komplexität bei der Produktprogrammgestaltung ausdrücken. Durch Szenarienbildung und Kosten-Nutzen-Analysen können dann spezifische Handlungsempfehlungen für eine optimierte Produktprogrammgestaltung abgeleitet werden (vgl. Abb. 2).

Abb. 2: Komplexitätsindex-Modell zur Messung externer und interner Komplexität bei der Produktprogrammgestaltung

Die Erkenntnisse aus den Expertengesprächen und der Unternehmensbefragung wurden schließlich in einem Bewertungsmodell zusammengefasst. Die externen und internen Komplexitätsindizes Ke und Ki wurden dazu hinsichtlich ihrer gegenseitigen Wirkbeziehungen simuliert. In dem entwickelten IT-basierten Tool wurden nicht nur die komplizierten und vielfältigen Wirkbeziehungen zwischen den unterschiedlichen Komplexitätstreibern als Algorithmen hinterlegt, sondern auch verschiedene Szenarien für mögliche Auswirkungen auf die Produkt­pro­gramm­ge­staltung abgebildet. Somit können Unternehmen dieses Tool zur systematischen Komple­xi­täts­analyse heranziehen und Handlungsempfehlungen für einen weiterführenden Methodeneinsatz zur Optimierung der Produktprogrammgestaltung ableiten (vgl. Abb. 3). Zusätzlich kann das Komplexitätsindex-Modell für fallspezifische Nutzenanalysen bei Anpassungen in der Produktprogrammgestaltung genutzt werden. So kann es beispielsweise bei Entscheidungen zur Generierung oder Streichung von Varianten im Produktprogramm hilfreich sein, wenn dem zu erwartenden Mehrumsatz am Markt auch die komplexitätsbedingten Mehraufwände im Unternehmen auf Basis der eigenen Komplexitätsfähigkeit entgegengestellt werden können.

Auf Basis von Angaben und Gewichtungen zu einzelnen Komplexitätstreibern sowie zur internen Bewältigung der externen Komplexitätsanforderungen in den Unternehmensprozessen ermittelt das Komplexitätsindex-Modell Empfehlungen für einen optimalen Methodeneinsatz. Dabei wird das Unternehmen anhand der gemachten Angaben mit einer Komplexitätsfähigkeit bewertet, also einem Verhältnis zwischen externer und interner Komplexität (Ke / Ki). Sind beispielsweise der interne Komplexitätsindex Ki und der externe Ke in einem ausgewogenen Verhältnis kann sich in bestimmten Fällen die Durchführung einer Conjoint-Analyse lohnen, um eine optimale Ausrichtung am Kundennutzen bei der Produktgestaltung zu erreichen und Over-Engineering zu vermeiden. Ist beispielsweise der externe Komplexitätsindex Ke höher als der interne Ki ist die Durchführung einer Produktklinik zu empfehlen, um die Herstellkosten konsequent zu senken und anhand eines systematischen Wettbewerbsvergleichs Ansätze zur Standardisierung und Vereinfachung der eigenen Produkte zu identifizieren. Auf diese Weise kann ein situationsspezifischer Methodeneinsatz Entscheidungen zum Verbleib, zur Streichung oder zur Generierung von Produkten und Varianten unterstützen.

Abb. 3: Nutzen des Komplexitätsindex für Unternehmen

Insgesamt können Unternehmen unterschiedlicher Branchen mit Hilfe des IT-basierten Tools individuell relevante Komplexitätstreiber identifizieren – sowohl externe als auch interne. Dies hilft insbesondere KMU, die Komplexitätssituation in ihrem Unternehmen transparent zu machen und systematisch zu analysieren. Auf Basis der erfassten Rahmenbedingungen sowie der im Komplexitätsindex-Modell hinterlegten Wirkbeziehungen und Algorithmen werden situa­tions­spezifische Handlungsempfehlungen ausgesprochen, die Führungskräften als Ent­schei­dungs­grundlage für die Optimierung der Produktprogrammgestaltung dienen können. Auf diese Weise können auch kleinere Unternehmen die Steuerung ihrer Produkt- und Variantenvielfalt optimieren und gleichzeitig die wachsende Komplexität beherrschen. Eine systematische (Neu-) Ausrichtung des Produktprogramms hinsichtlich Markt- und Wettbewerbsumfeld (auf Basis des externen Komplexitätsindex Ke) sowie Komplexitätskosten (auf Basis des internen Komplexitätsindex Ki) trägt somit zur nachhaltigen Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit bei.

Weiterführende Literatur

  • Komplexitätsmanagement
    Komplexitätsmanagement in Vertrieb, Beschaffung, Produkt, Entwicklung und Produktion
  • Variantenmanagement
    Leitfaden zur Komplexitätsreduzierung, Komplexitätsabeherrschung und Komplexitätsvermeidung
  • Produktordnungssysteme
    Leitfaden zur Standardisierung und Individualisierung des Produktprogramms durch intelligente Plattformstrategien
  • Produktklinik
    Leitfaden zur Steigerung der Lerngeschwindigkeit und Produktkostensenkung

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