[05.05.2010]
Ein führender deutscher Hersteller in der Baumaschinenbranche wird mit Wettbewerbsprodukten konfrontiert, die einen Nachbau der eigenen erfolgreichen Produkte darstellen. Dabei werden Patente und Schutzrechte nicht verletzt. Die Wettbewerber aus dem europäischen und asiatischen Ausland profitieren teilweise von geringeren Herstellkosten aufgrund ihrer Standortvorteile und können insbesondere bei Standardausführungen sehr niedrige Verkaufspreise offerieren. Zudem umfasst das eigene Produktportfolio eine Vielzahl an Varianten, um jeder marktspezifischen Kundenanforderung zu entsprechen. Im Laufe der Zeit wurde die technische Differenzierung der Varianten so stark verwässert, dass eine Bereinigung des Produktprogramms dringend erforderlich erscheint. Aufgrund der aktuellen Lage in der Baubranche ist zudem ein starker Auftragsrückgang zu verzeichnen. Somit war die Aufgabe der Produktklinik sehr vielschichtig: Die Herstellkosten waren signifikant zu reduzieren. Zudem galt es, die Vielzahl an realisierten technischen Lösungen auf ein Konzept zu verdichten. Gleichzeitig sollte bei bestimmten Eigenschaften der Maschinen ein Zusatznutzen für die Kunden geschaffen werden, um den Anspruch als Premiumanbieter in Zukunft wieder deutlicher herausstellen zu können.
Die Produktklinik zeichnet sich dadurch aus, dass verschiedene Methoden zu einem übergreifenden Modell verknüpft sind. Aus diesem Modell wurden die für das vorliegende Projekt spezifisch geeigneten Methoden ausgewählt und angewendet. Kennzeichnend für das Modell sind die folgenden Merkmale. Erstens werden die Anforderungen aus Kunden- und Marktsicht berücksichtigt, um den Handlungsspielraum für Kostensenkungen zu identifizieren. Zweitens wird ein Benchmarking der eigenen Produkte mit jenen der Wettbewerber durchgeführt. Drittens werden die Teammitglieder aus möglichst vielen betroffenen Unternehmensbereichen ausgewählt. Damit entsteht ein Gedankenaustausch unter Berücksichtigung aller bereichs¬spezifischen Aspekte. Außerdem hat es sich bewährt, dass die unterschiedlichen Produkt- und Prozesskenntnisse der einzelnen Workshop-Teilnehmer sehr befruchtend sind für eine lebhafte und gleichzeitig zielführende Diskussion von Ideen zur Herstellkostensenkung.
Während der sukzessiven Demontage wurden im Projekt die technischen Unterschiede der Produkte hinsichtlich ihrer Funktionsstruktur sowie ihrer Produktstruktur erfasst und Ideen zur Kostensenkung identifiziert. Das Lernen vom Wettbewerber bestand überwiegend nicht aus einem Kopieren der Lösungen, sondern aus dem intelligenten Optimieren und aus dem Ableiten von neuen Lösungen durch die intensive Diskussion am physischen Objekt. Außerdem bot der Vergleich der eigenen Produkte bereits Angriffspunkte für die Übertragbarkeit von Lösungen einzelner Produkte auf das zukünftige gesamte Produktprogramm. Dabei wurden nicht nur Ideen identifiziert, die innerhalb des zu betrachtenden Untersuchungsbereichs wirksam werden können. Vielmehr konnten auch Ansatzpunkte erarbeitet werden, die in anderen Produktreihen zu einer Kosteneinsparung führen.
Ein wesentliches Merkmal der Produktklinik ist die möglichst rasche Wirksamkeit der identifizierten Ideen. Zu diesem Zweck wurde in allen durchgeführten Demontage-Workshops darauf geachtet, welche Ansatzpunkte zur Implementierung bereits in der laufenden Serie technisch geeignet und wirtschaftlich empfehlenswert waren. Diese sogenannten Quick Wins wurden individuell technisch wie auch kostenmäßig bewertet. Alle übrigen Ideen wurden in Konzeptworkshops inhaltlich präzisiert und technisch bewertet – also ihre Funktionserfüllung mit einem Schulnotensystem der Ist-Situation gegenüber gestellt. In Kostenworkshops erfolgte anschließend die Ermittlung der Einsparpotenziale für das neue Produktprogramm.
Die Vorgehensweise führte zu einem sehr erfolgreichen Ergebnis für das Kosteneinsparpotenzial. Für die kurzfristige Realisierung wurden 23 Ansatzpunkte identifiziert, die eine Herstellkostenreduzierung um 3,5% in der laufenden Serie ermöglichen. Sie wurden hinsichtlich ihrer Wirtschaftlichkeit positiv beurteilt. Hierzu wurde der notwendige Aufwand in der Entwicklung, der Produktion, der Beschaffung und im Vertrieb unter Berücksichtung des aktuellen Produktionsplans beziffert. Somit kann im Zeitraum bis zum Launch der neuen Produktgeneration ein signifikanter Beitrag zur raschen Kostenreduzierung geleistet werden. Zur Kostenoptimierung des neuen Portfolios wurden 250 Ansatzpunkte identifiziert, die ein Einsparpotenzial von 27% auf Basis der Herstellkosten des existierenden Portfolios darstellen. Aus der Vielzahl der einzelnen Ideen entstand ein Gesamtkonzept für die neue Produktgeneration, die Overengineering reduzierte, auf Bewährtes setzte und gleichzeitig Innovation erlaubte.