[04.04.2012]
Der Produktionsanlauf bedeutet für die Unternehmen der Automobilindustrie Chance und Risiko zugleich, da diese Phase maßgeblich den Erfolg und Misserfolg eines neuen Fahrzeugs bestimmt. Die Komplexität in dieser wichtigen Phase im Produktentstehungsprozess wird durch ein international agierendes Produktionsnetzwerk weiter vergrößert. Aus diesem Grund stellt das systematische Management von Serienanläufen eine kritische Erfolgsdeterminante für die Automobilindustrie dar. Aufgrund der starken Verflechtung zwischen OEM und Zulieferer kommt der Abstimmung und engen Zusammenarbeit mit dem Lieferanten eine entscheidende Rolle zu. Daher wurde für den betrachteten Automobilhersteller ein Konzept für das Lieferantenanlaufmanagement innerhalb der Lieferantenentwicklung erarbeitet.
Die zunehmende Häufigkeit und steigende Komplexität von Serienanläufen kennzeichnet die weltweite Automobilindustrie. Der Wettbewerb um Marktanteile und attraktive Nischenmärkte zwingt Automobilhersteller und Zulieferer gleichermaßen, Modelllebenszyklen zu verkürzen und stärker als je zuvor die Modellpalette mit neuen Fahrzeugvarianten zu erweitern. Serienanläufe sind daher nicht nur häufiger, sondern auch in kürzeren Zeitabständen zu bewältigen. Diese Entwicklung betrifft nicht nur die Automobilhersteller selbst, sondern auch deren Zulieferer, da in zunehmenden Maße Entwicklungs- und größere Wertschöpfungsanteile (z. B. ganze Module, wie das vollständig bestückte Cockpit) an Systemintegratoren und Modullieferanten vergeben werden. Daher gewinnt die Zusammenarbeit und Abstimmung mit Systemlieferanten gerade in der Anlaufphase, der Prozessschritt in der ein Prototyp aus dem Entwicklungszentrum in die Serienproduktion eines Produktionswerkes überführt wird, zunehmend an Bedeutung.
Neben den allgemeinen Rahmenparametern für das Anlaufmanagement, wurde bei dem betrachteten Automobilhersteller in einer Analyse der letzten 10 Serienanläufe festgestellt, dass der Produktionsstandort für die zukünftige Serienproduktion ein weiterer wesentlicher Komplexitätstreiber ist. Das betrachtete Unternehmen konzentriert seine gesamten Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten an einem Standort in Deutschland. An diesem werden auch die Prototypen während der gesamten Entwicklungsphase aufgebaut. Die Serienproduktion für Volumenmodelle findet an mehreren internationalen Standorten statt. Für Modelle mit geringerem Volumen gibt es ein designiertes Produktionswerk innerhalb des globalen Produktionsnetzwerkes. In der Analyse wurde festgestellt, dass bei Fahrzeugprojekten, die neben dem komplexen Transfer von Entwicklungszentrum in ein Serienwerk auch noch einen internationalen Standorttransfer meistern müssen, gerade bei Umfängen größerer Modullieferanten Schwierigkeiten aufgetreten sind. In Gesprächen mit verschiedenen Systemintegratoren wurde deutlich, dass die Lieferanten gerade in der Anlaufphase auf die Unterstützung durch die Lieferantenentwicklung des OEMs angewiesen sind. Daher wurde ein Projekt initialisiert, mit dem Ziel ein Konzept für ein gezieltes Lieferantenanlaufmanagement zu implementieren.
Dem eigentlichen Projekt vorgelagert war eine Studie der letzten 10 Serienanläufe in unterschiedlichen Produktionswerken. Im Rahmen dieser Studie wurden auch Interviews mit den verantwortlichen Entwicklern und Projektleitern auf Seiten der Systemlieferanten geführt. Dabei wurden verstärkt Lieferanten ausgewählt, bei denen es in einem der letzten Serienanläufe Probleme mit der Termintreue oder Qualität gegeben hat.
Auf Basis der Erkenntnisse der Studie, wurde ein Projektteam innerhalb der Lieferantenentwicklungsabteilung des Automobilherstellers aufgesetzt. Hierbei wurde Wert darauf gelegt, dass die Projektteammitglieder bereits Erfahrung bei einem Serienanlauf gesammelt haben. Ferner wurden aus einem derzeit in der Anlaufphase befindlichen Fahrzeugprojekt zwei größere Modulumfänge als Pilotmodell definiert.
Ein signifikantes Ergebnis der Studie war, dass es analog zu einem Entwicklungsteam auch einem designiertes Anlaufmanagementteam bedarf, welches für die kritische Anlaufphase verantwortlich zeichnet. Dieses interdisziplinäre Team beginnt seine Tätigkeit bereits mit der Planung der Anlaufphase und dem Transfer des Fahrzeugprojektes in das Produktionswerk. Es wird durch einen „hauptberuflichen Anlaufmanager“ geleitet. Dieser sollte als „Allrounder“ bereits über langjährige Unternehmenserfahrung und ein breit angelegtes Netzwerk in der Entwicklung wie auch Produktion verfügen. Er berichtet direkt an den Gesamtfahrzeugprojektleiter, um damit die notwendige Entscheidungsautorität zu haben. Hauptaufgabe des Anlaufmanagementteams ist die Zielerreichung in Bezug auf Zeit, Kosten und Qualität. Dazu sind in erster Linie die Koordination der unterschiedlichen Bereichsinteressen (Entwicklung, Produktion, Einkauf, Qualität und Lieferanten) sowie die Transparenz über alle Prozesse und Schnittstellen sicher zu stellen.
Ein wesentlicher Erfolgsfaktor für den Serienanlauf liegt in einer realistischen Planung der Anlaufphase. Dabei konzentriert sich das Anlaufmanagementteam insbesondere auf kritische Prozesse und Bauteile. Gerade bei größeren Modulumfängen gilt es beispielsweise die komplexe Logistikkette zwischen den einzelnen Lieferanten in der Planung der „Design Freezes“ Meilensteine zu berücksichtigen. Ferner ist es wichtig, dass die gesetzten Meilensteine auch von allen Prozesspartnern eingehalten werden. Um die notwendige Aufmerksamkeit der Mitarbeiter zu erhalten, wurde für einen verspäteten Änderungsantrag die Unterschrift des betreffenden Entwicklungsbereichsleiters, des Anlaufmanagers sowie des Gesamtfahrzeugprojektleiters notwendig. Neben der Meilensteinplanung sind eine sinnvolle Mengenstaffelung und Variantenplanung der Fahrzeuge in den einzelnen Bauphasen entscheidend.
Während der eigentlichen Anlaufphase nimmt das Anlaufmanagementteam primär eine Mediatorenrolle zwischen den Mitarbeitern aus der Entwicklung am Forschungs- und Entwicklungsstandort in Deutschland und den ausländischen Mitarbeitern am Produktionsstandort ein. Hierzu gehört z.B. auch der zeitnahe Austausch wichtiger Informationen trotz eventueller Zeitverschiebungen. Das Anlaufmanagementteam stellt durch die eigene Reisebereitschaft einen persönlichen Kontakt zu allen beteiligten Personen sicher, um dadurch schneller eine Lösung für potentielle Probleme bereits vor Eintreten eines Schadens zu finden.
Bereits etablierte Prozesse und Tools zur Sicherstellung der Qualität und Prozesstreue eines Lieferanten wurden mit in das Lieferantenanlaufmanagement integriert. Daneben wurde gemeinsam mit den beiden in das Projekt eingebundenen Systemlieferanten und deren jeweils 4 Hauptlieferanten zur Verbesserung der Transparenz ein internetbasiertes Kapazitätsplanungs- und Absicherungstool eingeführt. In diesem Tool werden alle produktionsrelevanten Daten wie z.B. Losgröße, Prozesszeit, Lagerkapazität und eventuelle Lieferzeit von Sub-Lieferanten hinterlegt. Zudem werden die aktuellen Bestandsdaten an Rohmaterialien sowie Fertigerzeugnissen täglich aus den jeweiligen ERP-Systemen der Lieferanten automatisch an das Tool übermittelt. Diese Information wird von der Produktionsplanung des Automobilherstellers genutzt, um es mit dem geplanten Produktionsprogramm abzugleichen. Dadurch ist es dem Anlaufmanagement möglich, notwendige Änderungen aufgrund von technischen Anpassungen im Vorfeld zu simulieren.
Bereits für die beiden Pilotmodule hat sich gezeigt, dass bisherige Probleme wie Teileknappheit oder Lieferung von Teilen mit dem falschen Änderungsstand vollständig eliminiert werden konnten. Bei dem Einsatz des erarbeiteten Konzeptes und der beinhalteten Tools mit den größten Systemlieferanten im Rahmen des nächsten Serienanlaufs an einem ausländischen Produktionsstandort konnte jegliche Art von Produktionsausfall ohne „Feuerwehr“-Aktionen für die betrachteten Umfänge vermieden und der Serienanlauf für das neue Fahrzeugmodell innerhalb des geplanten Zeitraums und Budgets durchgeführt werden.