[20.05.2020]
Auch der ursprüngliche Kontinuierliche Verbesserungsprozess war – wie heute auch das Home-Office in Corona-Zeiten – aus der Not geboren, denn die nach dem Zweiten Weltkrieg in Schieflage geratene Toyota Motor Company hatte den Ingenieur Taiichi Ohno zur Entwicklung eines flexiblen und verschwendungsarmen Produktionssystems veranlasst.
Heute sind wir einige Schritte weiter, was das Orchestrieren des Ideenpotenzials der Mitarbeiter im Unternehmen anbelangt. Wir wissen, dass Ideen am Anfang jeder kontinuierlichen Verbesserung stehen und dass die richtigen Anreize notwendig sind, um das Gold in den Köpfen der Mitarbeiter anzuzapfen. Auch wissen wir, dass eine Beschränkung auf eine rein materielle Vergütung – also extrinsische Anreize –die Erfolgskurve nur bis zu einem gewissen Grad ansteigen lässt. Grundsätzlich gilt: wer etwas mit Begeisterung tut, tut dies um der Sache willen und nicht für den Obolus. Eine Möglichkeit zur Realisierung dieser intrinsischen Anreize bietet die Spielifizierung. Sie beschreibt die Anwendung von Spielen in spielfremden Kontexten und Umgebungen. Die Hypothese ist einleuchtend. Manche Menschen sind im Job nur schwer dazu zu motivieren, sich über das Mindestmaß hinaus zu engagieren – auch beim Ideenmanagement. Dieselben Menschen verbringen zu Hause aber Stunden mit kindlichem Eifer beim gemeinsamen Spiel. Warum also nicht Arbeitsinhalte wie ein Spiel designen und dadurch Mitarbeiter zu neuen Höchstleistungen motivieren? Diese Theorie lässt sich in der Praxis nutzen. Die Methode der Spielifizierung konnten wir bereits in mehr als 20 Unternehmen erfolgreich umsetzen und die Effekte eindrucksvoll belegen. In Publikationen zur Spielifizierung haben wir das Konzept beschrieben.
Die Digitalisierung wirkt dabei auch als Enabler für Innovationsprozesse. Besondere Sprengkraft liegt in der Kombination von Big Data und Machine Learning. Wir alle erzeugen Daten. In unserer Arbeitswelt hinterlassen wir mit jedem Prozess eine digitale Spur. Diese Datenspuren sind mehr als nur Zahlen, denn sie bringen Abweichungen und versteckte Risiken ans Licht. ERP-Systeme dokumentieren mittlerweile fast jede Transaktion im Unternehmen. Genutzt wird dieses Datengold allerdings in den wenigsten Fällen. Machine Learning und Künstliche Intelligenz können als Technologiebausteine hierzu einen wesentlichen Anteil beitragen, da die Mustererkennung auf Basis selbstlernender Algorithmen und unstrukturierter Daten eine automatisierte Ableitung von Erkenntnissen ermöglicht.
Anwendungsfälle für maschinelles Lernen zur Steigerung der Innovationskraft gibt es viele. Medienunternehmen nutzen maschinelles Lernen etwa für Kundenanalysen, um Kundenfluktuation vorherzusagen und Maßnahmen zur Kundenbindung abzuleiten. Qualitätszirkel zur Workshop-basierten Steigerung der Produktqualität im Shopfloor-Bereich werden weiterhin ihre Berechtigung haben, aber wenn ein Algorithmus Muster in vielen Millionen Datenpunkten erkennen kann, dann lässt sich der Prozess beschleunigen. Auch die Vertriebs-Königsdisziplin der Preissetzung lässt sich mit KI verbessern, denn Algorithmen können mit extrem großen Datenmengen umgehen und so Schlussfolgerungen aus der gesamten Datenflut aller Marktaktivitäten ziehen. Es lassen sich so Preissensivitäten oder Mehrpreispotenziale aus dem Kundenverhalten ableiten, was zu einer besseren Abschöpfung des Marktpotenzials führt. Auch für die Weitergabe von wertvollem Know-how von älteren Mitarbeitern an jüngere Kollegen eignet sich die Technologie. Der Experte kann etwa die Bedienung oder Reparatur von Anlagen mit Hilfe von Kameras aufzeichnen. Beim Nachwuchs kommen dann über die Datenbrille KI-Tools zur Bilderkennung zum Einsatz. Das Ergebnis sind Arbeitsanweisungen mit Hilfe von Augmented Reality in der Datenbrille – automatisch angezeigt genau dann, wenn es für den Prozessschritt in der Datenbank eine Mustervorlage gibt. Künstliche Intelligenz ist der Schlüssel, um in Unternehmen in Zukunft schneller und besser zu lernen und die Verarbeitung der zugrundliegenden Daten ist die Basis dazu.
TCW wagt anhand einer eigenen Perspektive aus der Unternehmensberatung eine Zukunftsprognose: Produktivität geht auch per Remote!
Nehmen wir ein Beispiel: ein Unternehmen betreibt 30 Werke, aber nicht alle Werke laufen auf dem gleichen Niveau. Die Qualitäten der Produkte und die Stabilität des Outputs unterscheiden sich meistens. Wenn es nun das Ziel ist, alle Werke auf das gleiche Level zu hiefen, hieß das bisher: Vor-Ort-Audits, Workshops zur Ideenfindung und eine mühsame - da händische - Ursachen-Wirkungs-Analyse. Das bedeutet nicht, dass das nicht funktioniert, aber wenn mehr als 100 Einflussfaktoren die Produktqualität bedingen und die Produktionsprogramme in diesen Werken auch noch alle unterschiedlich sind, wird klar, dass die Trennung von wichtigen und unwichtigen Stellschrauben das menschliche Logikverständnis schnell überfordert. Die Lösungstrategie hierzu muss also datenbasiert sein und die Werkzeuge zur Optimierung dieses Problems sind algorithmische Optimierung und Machine Learning! Der Vorteil von Algorithmen: Sie können mit endlosen Datenmengen umgehen. Maschinelles Lernen heißt, der Computer hat keine Logik einprogrammiert, sondern er erfasst die Umweltdaten und versucht dann in den Daten bestimmte Muster und Gesetzmäßigkeiten zu erkennen. Das Ziel ist es, Daten intelligent miteinander zu verknüpfen, Zusammenhänge zu erkennen, Rückschlüsse zu ziehen und Vorhersagen zu treffen – und jetzt kommts: zunächst mal ohne die Logik dahinter zu kennen. Für unser Beispiel heißt es, wir füttern den Rechner mit der gesamten verfügbaren Datenflut und der Algorithmus beginnt nach Auffälligkeiten und Mustern zu suchen. Data Sciencists würden für unser 30-Werke-Beispiel wahrscheinlich eine Multi-Variate-Regressionsanalyse mit einer Assoziationsanalyse kombinieren, um statistische Zusammenhänge zwischen verschiedenen Variablen und Regeln in der Datenflut auszumachen. Das Paradoxe daran: die algorithmische Mustererkennung wird im gleichen Maße besser, wie wir Menschen überfordert wären – denn je mehr Daten, umso besser das Ergebnis des Algorithmus.
Nehmen wir nun für unseren Fall der 30 Werke an, dass der Einkäufer erkannt hat, dass viele Werke mit häufigen Qualitätsproblemen den Low-Cost-Lieferant A für die Spritzgußteile verwenden anstatt den ebenso freigegeben - aber teureren - Lieferanten B. Sollte das bestehende Einkaufspotenzial nun zu Gunsten einer vermeintlich besseren Qualitätsausbeute aufgegeben werden? Im Fallbeispiel war das Ergebnis: Nein, weil in den Maschinendaten eine extrem starke Korrelation zwischen der Modellreihe der eigenen Gußwerkzeuge und der Endqualität des Fertigteils erkennbar ist. Es wäre also fatal gewesen, dem Bauchgefühl des Einkäufers nachzugehen, wenn der Algorithmus keinen statistisch erkennbaren Zusammenhang zwischen Kaufteillieferant und Bauteilqualität offengelegt hätte. Man hätte höhere Materialkosten aber am Ende keinen Qualitätspunkt gewonnen, denn es herrscht ein Zusammenhang zwischen dem eigenen Werkzeug und der Bauteilqualität - die Häufung der Probleme bei Werken die Lieferant-A-Material verwenden, ist nur zufällig. Sowas lässt sich über Algorithmen offenlegen.
Was können wir nun daraus lernen? Werthaltig wird ein Optimierungsansatz erst, wenn die Datenanalyse mit menschlichem Erfahrungswissen kombiniert wird, denn dann können daraus die richtigen Schlussfolgerungen gezogen werden. Für unser Fallbeispiel war die Konsequenz, sich das eigene Presswerkzeug etwas näher anzusehen – mit menschlichem Scharfsinn und im Workshop. Man hat dann festgestellt, dass sich die Abkühlkurve für gute und schlechte Werkzeuge unterscheiden und eine Maßnahme zur Qualitätssteigerung wäre, mit dem Werkzeughersteller an einer Verbesserung des Wärmeabtrages zu tüfteln.
Wir als strategische Managementberatung haben unsere Lehren aus der Krise gezogen, was den methodischen Ansatz zur Produktivitätssteigerung angeht. Das Remote-Arbeiten ist keine Einschränkung, denn wir werden alle mehr aus den Daten lernen müssen, um weitere Produktivitätsniveaus zu erklimmen und das können wir von überall aus.
„Ganz verzichten sollten wir auf die persönliche Zusammenarbeit aber nicht. Change Management funktioniert nämlich nur schwer per Webkonferenz. Bevor wir verändern können, müssen wir aber die Zielrichtung kennen und auf den Weg dorthin müssen wir Schlussfolgerungen aus Daten ziehen und das geht auch aus dem Home-Office.“
Mustererkennung durch Remote Analytics ist in einer hochkomplexen Welt ein scharfes Werkzeug zur effizienten Entscheidungsfindung. Der Mensch als letztes Quality Gate und als Veränderungsbeschleuniger wird aber auch weiterhin unersetzlich sein. Auch weil die Ergebnisqualität ein entscheidender Punkt bei der Fragestellung ist, wie blind wir den Empfehlungen einer künstlichen Intelligenz vertrauen können. Denn was fehlt ist eben der gesunde Menschenverstand und der menschliche Impetus, um aus Datenmustern Maßnahmenkataloge zur Produktivitätssteigerung zu entwickeln.