[14.08.2020]
Das regulierte Umfeld der Medikamenten-Produktion nach GxP-/GMP-Richtlinien bedeutet für Unternehmen der Pharma-Branche einen großen Personalaufwand. Änderungen von SOPs (Standard Operating Procedure) wurden beim betrachteten Hersteller mit händischem Aufwand dokumentiert. Zudem stand das Unternehmen vor der Herausforderung, dass das entwickelte interne Kontrollsystem in der Realität nur dürftig umgesetzt wurde. Um SOX-Compliance nach dem Sarbanes-Oxley Act zu erreichen, sollte außerdem das Leitbild einer Finance 4.0 durch die Digitalisierung der administrativen Prozesse vorangetrieben werden. In der Produktion ergaben sich Probleme durch verschiedene Labor-, Informations-, und Management-Systeme, welche untereinander nicht kommunizieren konnten und redundante Tätigkeiten ausführten. Zum Manufacturing Execution System fehlte dem ERP-System eine standardisierte Schnittstelle, beispielsweise nach ISA-95. Die Geschäftsführung des Unternehmens war sich bewusst, dass die nicht zusammenpassende Software sowie die unstrukturierten Prozesse kein Fundament für eine zukunftsfähige Unternehmensausrichtung darstellten. Daher wurde TCW zu Rate gezogen, um mit einer strukturierten Business Case Betrachtung eine innovative Lösung für die aktuelle Problemlage zu schaffen. Als ein zentraler Punkt im Rahmen der Software-Architektur wurde die Auswahl und Einführung eines neuen ERP-Systems angestrebt.
Zur Entwicklung der konzeptionellen Möglichkeiten der Software-Architektur wurde durch die TCW-Berater gemeinsam mit den Mitarbeitern des pharmazeutischen Unternehmens eine Gap-Analyse durchgeführt. Die Ergebnisse zum Ist- und Soll-Zustand dienten als Basis für die weitere Business Case Analyse. Gemeinsam mit der Geschäftsführung, Vertrieb, Produktion und Finance wurden Szenarien entwickelt und mögliche Entwicklungspfade im Sinne eines Zukunfts-Modells erarbeitet. Der Business Case wurde für fünf Jahre ausgelegt. Mit dessen Entwicklung werden die finanziellen und strategischen Auswirkungen eines Investitionsvorhabens analysiert und bewertet. Für den Hersteller wurde von den TCW-Beratern zur Definition des Lösungsraums eine Aufstellung der möglichen Handlungsoptionen erarbeitet. Neben der Option 0 (Status Quo) wurden mögliche ERP- und Software-Systeme (u.a. SAP HANA S/4, Microsoft Dynamics 365 und Infor LN) abhängig von Anwendungsfeldern, Standorten und Funktionskombinationen in verschiedenem Maße für geeignet befunden. Die Handlungs-alternativen wurden nach definierten Bewertungskriterien evaluiert. Dabei wurden insbesondere der zeitliche Umfang zur Implementierung sowie die erwarteten Kosten und der Aufwand zur Umsetzung des neuen Konzepts erarbeitet.
Ein zentraler Punkt bei der Untersuchung des Business Cases war es, die finanziellen Auswirkungen der Handlungsoptionen zu prüfen. Bei den Einsparungen handelte es sich überwiegend um periodisch anfallende Kosten, beispielsweise aufgrund von schlanken Prozessen oder einem verbesserten Auftragsabwicklungsprozess von der Diagnose bis zur Medikamenteneinnahme durch die Nutzung von digitalen Technologien. Zur Ermöglichung der Optimierungen sind ständige Kosten notwendig (z.B. Lizenzkosten), meist handelt es sich jedoch um Einmalkosten im Sinne von Investitionskosten oder Projektkosten für die Konzeption der Software-Struktur. Leitlinien der Verbesserungen waren Digitalisierung und Lean Management. Mit einer durchgängigen Informationsstruktur kann Doppelarbeit vermieden und eine tiefgreifende Datenarchitektur geschaffen werden. Anhand von KPI und Kennzahlen werden diese bewertet. Mit Hilfe von Anwendungen im Bereich Künstliche Intelligenz, Machine Learning und Business Intelligence konnten Teilprozesse automatisiert werden. Es war wichtig, dass für zukünftige Business Cases Datentransparenz hergestellt wird.
Neben finanzgetriebenen Bewertungskriterien erlauben strategische Kriterien eine erweiterte Betrachtung der Handlungsoptionen. Darunter fallen strategische Nutzenaspekte, welche eine digitale Transformation und die Bildung eines Digitalen Zwillings langfristig mit sich bringen. Die kostspielige Gewinnung dieses Wissens kann nicht nur auf dieses eine ERP-Projekt bezogen werden. Auch Risikofaktoren werden im Zuge einer Risiko-Analyse und Projekt-FMEA integriert. Analog zum im pharmazeutischen Bereich üblichen Risikomanagement haben die TCW-Berater einen CAPA-Prozess entwickelt und mit einer Sensitivitätsanalyse mögliche Problemfaktoren identifiziert. Mit einer Schnittstellenanalyse wurde festgestellt, dass durch eine Standardisierung der Prozess- und Software-Architektur eine agilere Organisation mit einfacherem Wechsel von Personal und einem gemeinsamen Verständnis von Prozessen möglich ist.
Nach Abschluss der Business Case Analyse wurde jene Option gewählt, mit welcher die größten positiven Kapitalflüsse zu erwarten sind. Der Break-Even für das vorliegende ERP-Projekt liegt bei unter 2,5 Jahren. Aufgrund der positiven finanziellen und strategischen Effekte wird das umfangreiche Konzept „Prozesse 4.0“ gegenüber dem aktuellen Status Quo bevorzugt. Wichtig ist, dass die Vorgaben des Business Case während der Umsetzung regelmäßig auf ihre Erfüllung geprüft und gegebenenfalls angepasst werden, um zum jeweiligen Entscheidungszeitpunkt immer die beste Auswahl zu treffen.