[19.01.2009]
Der Anlagenbau in Deutschland ist einem starken, internationalen Wettbewerbsdruck ausgesetzt. Bisherige Erfahrungen haben gezeigt, dass generische Wettbewerbsstrategien häufig nur unzureichend auf die im Anlagenbau vorkommende Komplexität eingehen. Unternehmen haben eine Vielzahl hoch anspruchsvoller Produkte im Sortiment, welche auf verschiedensten Basistechnologien aufbauen und einzeln betrachtet werden sollten. Eine Differenzierung der Produktgruppen erfolgt häufig nicht nur horizontal, aufgrund des jeweiligen Anwendungsgebiets, sondern auch vertikal, auf Basis der jeweiligen Produktgeneration. In vielen Bereichen finden sich beispielsweise elektronische Schaltungen ebenso im Sortiment, wie substituierte, jetzt veraltete Relaisschaltungen. Dies spielt speziell bei langlebigen Produkten mit langfristigen Wartungsverträgen eine Rolle, da hier Know-how benötigt wird, das trotz vorhandener Innovationen weiterhin vorgehalten werden muss.
Wie in der Anlagenbaubranche üblich, sind Produkte häufig aus einer Vielzahl von Einzelkomponenten aufgebaut, die selbst gefertigt oder zugekauft werden müssen. Die Anzahl möglicher Zulieferer wird durch die jeweilige Basistechnologie und das dazu notwendige Herstellungs-Know-how begrenzt. Tritt ein Zulieferer auch als Hersteller eines kompletten Produkts auf, für das fehlende Komponenten zugekauft werden, verschärft sich die Konkurrenzsituation zusätzlich.
Bei reinem nicht exklusivem Fremdzukauf geht meist Differenzierungspotenzial gegenüber den Wettbewerbern in Bezug auf Preisgestaltung, relevante Produkteigenschaften und Entwicklungsentscheidungen verloren. Ein Unternehmen muss abwägen, ob es die zunehmende Komplexität im Anlagenbau handhaben kann. Häufig fehlt das dazu notwendige Know-how, um kostengünstig und in geforderter Qualität zu produzieren. Hier kann ein Zukauf durchaus erstrebenswert sein. Wird eine Komponente selbst produziert, erhöht sich der Druck, die Kostenbasis des eigenen Produkts im Vergleich zum Wettbewerb zu optimieren.
Die Erfahrung zeigt, dass die zielgenaue Identifikation von Gefährdungspotenzialen erst durch die kombinierte Betrachtung von Produkt und der zur Herstellung notwendigen Einzelkomponenten ermöglicht wird. Durch den höheren Detaillierungsgrad, der auch die erwartete Bedeutungsentwicklung der Einzelkomponenten beinhaltet, kann die Bewertung der aktuellen Wettbewerbssituation verbessert werden. Es werden robuste Aussagen zu Gefährdungspotenzialen ermöglicht, die direkt bei der Formulierung einer Wettbewerbsstrategie verwendet werden können.
Da die Umsetzung von Wettbewerbsstrategien speziell im M&A-Bereich mit hohem Zeit- und Kostenaufwand verbunden ist, wird eine Priorisierung notwendig. Es gilt strategisch wichtige Wettbewerber in Kombination mit deren Komponentenstrategie zu bewerten, ohne das Gesamtbild aus dem Auge zu verlieren. Besteht kein Entwicklungsspielraum im Komponentenbereich, ist die von einem Wettbewerber ausgehende Gefährdung deutlich vermindert, ebenso wie ein Technologiebestandteil nur in Kombination mit einem strategisch wichtigen Wettbewerber zu einem Gefährdungspotenzial heranwachsen kann.
Auf Basis der monetären Bedeutung einer Produktgruppe für ein Unternehmen und der relativen Positionierung im Wettbewerb werden strategisch wichtige Wettbewerber identifiziert. Abbildung 1 veranschaulicht diesen Sachverhalt. Abhängig von der Positionierung im Portfolio wird einem Wettbewerber, unterteilt nach Produktgruppen, eine Bedeutung zwischen eins und neun zugemessen.
Es hat sich bewährt, die Bedeutung einer Produktgruppe anhand eines Leistungsportfolios zu bewerten. Eine Verbindung zwischen strategischer Relevanz, welche primär durch Marktanteil und Gewinnbeitrag bestimmt ist, und der erwarteten Geschäftsbedeutung erlaubt eine Klassifizierung in vier Leistungsarten: Basisleistungen, Kernleistungen, Schlüsselleistungen und strategische Leistungen. Zur Detaillierung ist eine Erweiterung der dargestellten Produktgruppen im Portfolio um wichtige Untergruppen bzw. Einzelprodukte möglich. Im Zuge einer Plattformstrategie ist beispielsweise eine weitere Differenzierung in High- und Low-End-Lösungen verbreitet.
Für alle im Leistungsportfolio positionierten Produktgruppen erfolgt eine Untersuchung relevanter Wettbewerber. Dies kann in Form von Expertenbefragungen involvierter interner Vertriebsmitarbeiter und anderer externer Quellen erfolgen. Die Ergebnisse werden in einem Wettbewerbsportfolio visualisiert. Das Portfolio setzt die erwartete Entwicklung eines Wettbewerbers, bezogen auf die untersuchte Produktgruppe, ins Verhältnis zur Wahrnehmung und damit Akzeptanz am Markt. Eine Typologisierung umfasst: Follower, Attractive/low end, Hidden Champion und Stars.
Die detaillierte Betrachtung von Kompetenzen und Wachstumsstrategien der Wettbewerber bei den zugrundeliegenden Einzelkomponenten bzw. Technologiebestandteilen erlaubt die Ableitung differenzierter Gefährdungspotenziale. Die Kombination der Produktebene mit gefährdeten Einzelkomponenten erlaubt eine weit bessere Betrachtung potenzieller Gefährdungen, als es eine alleinige Einzelbetrachtung erlauben würde. Gefährdete Einzelkomponenten sind vornehmlich in Zusammenhang mit strategisch wichtigen Wettbewerbern und Produktgruppen von Bedeutung. Besteht für einen bedeutsamen Wettbewerber die Möglichkeit seine Position auszubauen und gleichzeitig der Wille zu weiterem Wachstum in einem speziellen Komponentenbereich, muss von einer hohen Gesamtgefährdung ausgegangen werden.
Eine Bewertung erfolgt ausschließlich für die zuvor identifizierten strategisch wichtigen Wettbewerber und Produktgruppen. Je nach Portfoliopositionierung ergeben sich geringe, moderate bis hohe Gefährdungspotenziale. Abbildung 2 veranschaulicht diesen Sachverhalt an einem Beispiel.
Es bestehen vielfältige Möglichkeiten um auf eine Gefährdung des Geschäfts durch geeignete Wettbewerbstrategien zu reagieren. Die beschriebene Vorgehensweise ermöglicht es, die oft notwendige Priorisierung der Ansatzpunkte auf Seiten der Technologie und des Wettbewerbs vorzunehmen. Im Rahmen des Projektes wurden je Produktgruppe zwischen drei und vier wichtige Gefährdungspotenziale herausgearbeitet. Außerdem bot sich die Möglichkeit erste Hinweise zur Strategiegestaltung abzuleiten. Die Portfoliodarstellung half beispielsweise Kooperationspartner zu identifizieren, F&E-Aufwände zielgerichtet einzusetzen oder auch geeignete Angriffspunkte für die eigene Preisgestaltung aufzuzeigen.
Trotz zunehmenden Wettbewerbs im deutschen Anlagenbau kann durch die Identifikation technologiebezogener Gefährdungspotenziale der Handlungsspielraum für die eigene Geschäftsentwicklung erweitert werden. Durch die von TCW erprobte Vorgehensweise konnten wichtige Stoßrichtungen bestimmt und zur erfolgreichen Umsetzung vorbereitet werden.