^

Produktion hat goldenen Boden

[23.02.2011]

Foto: Mimi Potter / fotolia.com

Mit der Beschränkung auf einige wenige Kernkompetenzen sollten die Fabriken lean, mean und hoch profitabel werden. Jetzt gilt das Gegenteil. Höhere Fertigungstiefe ist mit einer höheren Rendite gekoppelt. Kernkompetenzen ändern sich mit der Entwicklung der Technik. Der eigentliche Hersteller verliert das Wissen um die Entwicklung der Kundenwünsche. Er wird von seinem Outsourcing-Partner abhängig. Durch die Trennung der Entwicklung von der Produktion werden Fehler programmiert. Liegt der Segen im Ausland? Bei dieser simplen Vergleichsrechnung werden oft die Komplexität der Auslandsfertigung, die Sprachbarrieren und die Know-how-Verluste unterschätzt. Die Entwicklung der Produktion wurde  vernachlässigt. Dies ist eine klare Fehlentwicklung. Die Innovation in der Produktionstechnik, die Verbesserung der Prozesse, die Ausschaltung von Blindleistung und die ständige Weiterentwicklung von Mitarbeitern und Materialien sind zumindest genau so wichtig, wie die klassische Produktinnovation.


Die Rückkehr zu alten Werten

In einem „Bricks-and-mortar-business“ zu sein war vor noch nicht allzu langer Zeit so mit das Übelste, was einem Manager passieren konnte. Dann kamen „Bricks and Clicks“. Heute sind es nur noch bricks - Backsteine eben, die das Symbol für Produktionsbetriebe sind. Es ist im Management und in der Wissenschaft wie im Leben - fast nichts wechselt schneller als die Schlagworte. Die bricks als neueste Entdeckung des Managements aber sind ein echter Knüller mit einem knallharten Kern. Länger als ein Jahrzehnt galten Netzwerkproduktionen, Outsourcing, virtuelle Fabriken, kapitalarmes Wachstum und Betreibermodelle als Königsweg für eine schlanke Produktion und höchste Renditen. Das Idealbild eines modernen Produktionsbetriebs war der superschlanke Hecht, der im Karpfenteich nach Belieben wildern konnte. Mit der Beschränkung auf einige wenige Kernkompetenzen sollten die Fabriken lean, mean und hoch profitabel werden. Jetzt gilt das Gegenteil. Die Produktion erlebt eine ungeahnte Rennaissance: In fast allen Branchen, bei Mittelständlern wie bei Großkonzernen, wird die Produktion als eine Quelle des Reichtums einer Unternehmung wiederentdeckt. Fertigungstiefe ist nun wieder ein Schlüssel zum Erfolg. Wie kann das sein? Hat sich alle Welt geirrt? Wird jetzt wieder nach Steinkohle gegraben? Die „richtige“ Fertigung war natürlich auch in der Vergangenheit ein zentrales Anliegen der Manager und Gegenstand wissenschaftlichen Arbeitens. Doch anders als heute, war die Zielrichtung grundsätzlich darauf gerichtet, weniger selbst zu fertigen, um dadurch schneller reich zu werden. Das hat sich total geändert. Der neue Trend hat bereits reale Folgen. Produktionsfachleute werden erstmals seit Jahren wieder intensiv gesucht. Zweitens schneiden bei aktuellen Analysen der Renditestärke einzelner Unternehmensbereiche in der Regel die besonders gut ab, die einen höheren Anteil Eigenfertigung haben, als die Kollegen mit geringer Fertigungstiefe und entsprechend niedrigem Kapitaleinsatz. Das widerspricht zwar der Überzeugung vieler Unternehmenslenker. Sie setzen nach wie vor darauf, dass durch die Reduzierung des eingesetzten Kapitals der Wert des Unternehmens gesteigert werden kann. Doch sie werden umdenken müssen: Nicht die Verringerung des eingesetzten Kapitals bestimmt den Unternehmenswert, sondern die Effektivität der Produktion - egal wie tief oder flach gefertigt wird - ist wertbestimmend. Einschlägige Ergebnisse hat erst unlängst eine umfassende Analyse der einzelnen Bereiche eines Großkonzerns gebracht: Fast immer waren die Bereiche mit überdurchschnittlich hoher Eigenfertigung auch überdurchschnittlich erfolgreich bei der Rendite. Es zeigte sich deutlich, dass in der Regel eine höhere Fertigungstiefe mit einer höheren Rendite gekoppelt ist.

In diese Richtung weist auch die aktuelle Erhebung über Innovationen in der Produktionstechnik des Karlsruher Fraunhofer Instituts für Systemtechnik und Innovationsforschung. „Die Vorteile von Strategien, die auf hohe Fertigungsanteile in Entwicklung und Fertigung setzen, lassen es ratsam erscheinen, diese Faktoren nicht vorschnell aufzugeben.“ Eine „Ausweitung des Outsourcing“ scheint vor „diesem Hintergrund problematisch“, schreiben die Autoren in ihrem Bericht. Auch in der Praxis wird das Outsourcing zunehmend kritisch gesehen. So bezweifelt Audi-Vorstand Jochem Heizmann, dass der Anteil an der Wertschöpfung unter die in der Autobranche erreichten 20 Prozent gedrückt werden kann. „Viel weiter geht es nicht runter, sonst laufen wir Gefahr, unverzichtbares Kern-know-how und Qualität zu verlieren.“, erklärt Heizmann. Einige Autobauer erhöhen die Fertigungstiefe sogar im Elektronikbereich. Dieser verblüffende Befund wird in den kommenden Monaten und Jahren das Augenmerk der Unternehmenslenker und Unternehmensberater wieder weg von den modernen Konzepten für kapitalarmes Wachstum und auf die Kunst der Produktion lenken. Denn Eines ist klar: nicht die Eigenfertigung schlechthin, sondern die richtige Fertigungstiefe an den richtigen Stellen macht das Selbstproduzieren günstiger als das bisher so hoch gelobte Outsourcing. Neben gewissen Erfahrungswerten gibt es auch wissenschaftlich fundierte Argumente für mehr Eigenproduktion. Die Entwicklung der Messkonzepte für die Produktion machen die innerbetriebliche Blackbox immer durchschaubarer. Durch die Integration von Prozesskosten und Kapitalbindungskosten in das Konzept einer gesamthaften Kostenorientierung kann der Wertschöpfungsanteil der Produktion schon recht genau analysiert werden - auch wenn auf diesem Feld noch reichlich Raum für zukünftige Forschung zu erkennen ist. Insgesamt können wir heute aber auf ein stattliches Instrumentarium verweisen, das den Wertbeitrag der Produktion messen und optimieren kann. Im Rahmen der Erweiterung der Zielgrößen der Produktion sind die Interdependenzen mit anderen Bereichen, wie etwa Einkauf und Entwicklung, sowie die Definition und die effiziente Organisation der Schnittstellen in den Vordergrund gerückt. Die Produktionstheorie wird durch die Integration von Kosten- und Preistheorie zu einer gesamtheitlichen Theorie der Unternehmung weiterentwickelt. Die Verbesserung des Instrumentariums und das Wissen über die Interdependenzen haben für die Praxis die positive Folge, dass die Produktion heute beherrschbarer als in der Vergangenheit geworden ist. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Beurteilung von Outsourcing – Strategien. Ein Abgesang auf die Heilslehre vom Outsourcing? Nach vorherrschender Meinung und in zahlreichen Managementbüchern nachzulesen, zeichnen sich industrielle Champions durch flache Hierarchien in Management und Produktion, Beschränkung auf Kernkompetenzen, kapitalarmes Wachstum sowie geringe Fertigungstiefe aus. Im Ideal produziert das Unternehmen gar nichts mehr selbst. Es konzentriert sich auf die Interessen seiner Kunden, entwickelt aus der Kundenorientierung heraus seine Produkte - und lässt fertigen. Das Ergebnis ist ein marktorientiertes Unternehmen mit geringer Kapitalbindung und hoher Profitabilität. Zur Erreichung des Ziels wurden zahllose Netzwerkkonzepte und Betreibermodelle bis hin zur virtuellen Fabrik entwickelt.

Kernkompetenzen neu definieren

Wenig Gedanken wurden an die Nachteile verschwendet. Die erste Gefahr liegt bei der Bestimmung der Kernkompetenzen. Selbst wenn die Richtigen ausgewählt werden, können es immer noch die Falschen sein. Denn: Kernkompetenzen ändern sich mit der Entwicklung der Technik. So galten in der Autoindustrie der Motor und das Fahrwerk als unverzichtbare Kernkompetenzen des Herstellers. Die Elektronik dagegen wurde zugekauft. Doch heute kommen mehr als 80 Prozent aller Innovationen im Fahrzeugbau aus der Elektronik. Und das heißt: Wer die Elektronik beherrscht, beherrscht den Fahrzeugbau. Den nackten Motor kann man heute überall dazukaufen. Hier hat auch das Wechseln der Kundenpsychologie einen Strich durch die Rechnung gemacht: Autos und andere Hightech-Produkte werden heute nicht mehr nach technischen Kriterien beurteilt. Die immer funktionierende Technik wird einfach vorausgesetzt. Das Design und die innovativen Features geben den Ausschlag - das gilt nicht nur bei Autos, auch bei Mobiltelefonen und Computern stehen die „Zugaben“ höher im Kurs als das Basisangebot. Ein großes Maschinenbauunternehmen wirbt mit dem Slogan „Logistik ist unsere Kernkompetenz“. Wenn die Kernkompetenz einer Automarke im Bereich der alten Technik liegt, wird das Unternehmen bei fortschreitender Entwicklung der Technik sehr schnell sehr alt aussehen. Ob Daimler-Chrysler, VW oder Opel, praktisch alle Autohersteller müssen auf dem Fach Elektronik heute nachsitzen, um Versäumtes aufzuholen. Der nächste Stolperstein ist die Komplexität der Abläufe bei einer Kooperation mit vielen Partnern in der Produktion. Viele Firmen trennten sich von Randkompetenzen und gaben damit auch Entwicklungsleistungen ab. Häufig überstiegen dabei die Koordinationsaufwendungen die Kostenvorteile und erhöhten die Abhängigkeiten. Beim Outsourcing müssen ununterbrochen unterschiedliche Interessen aufeinander abgestimmt werden. Es entstehen aufwändige Abstimmungs-Systeme und zusätzliche Kosten. Jede Veränderung kann nur nach langwierigen Abstimmungsprozessen mit allen Betroffenen umgesetzt werden. Interessenkonflikte sind dabei programmiert. Zeitverluste auch. Das Unternehmen wird schwerfälliger. Die Kosten steigen an ungeplanten Stellen. Schnelle Reaktionen auf Nachfrageveränderungen führen zu nicht enden wollenden Abstimmungs-Mäandern. In vielen Fällen droht dem Outsourcer zusätzlicher Ärger durch den Verlust von Ersatzteilgeschäft, Service und Kundenkontakt. Der Zulieferer wird in der Regel für seine Produkte auch den Service und das Ersatzteilgeschäft abwickeln. Er tritt gegenüber dem Kunden als Gesprächspartner auf. Das kann fatal sein. In vielen Branchen werden die besten Geschäfte mit Ersatz und Service gemacht. Noch unangenehmer kann sich der Verlust des Kundenkontaktes auswirken. Der eigentliche Hersteller verliert das Wissen um die Entwicklung der Kundenwünsche. Er wird von seinem Outsourcing-Partner abhängig. Der läßt sich diese Abhängigkeit teuer bezahlen. Plötzlich wackelt der Schwanz mit dem Hund - und der kann sich nicht einmal wehren. Nicht immer die besten Erfahrungen wurden auch mit dem Outsourcen von Entwicklungsaufgaben gemacht. Durch die Trennung der Entwicklung von der Produktion werden Fehler programmiert. Die optimale Gestaltung der Produktion und die Weiterentwicklung der Produkte sollten im Gegenteil aufs Engste verzahnt werden. Denn nur dann können Entwicklung und Produktion optimal und mit Zeitgewinnen gestaltet werden. Sicher, hierzu gibt es gute Organisationsmodelle.

Outsourcing ohne Know-how-Verlust

Liegt der Segen im Ausland? Bei der Unterscheidung zwischen dem Outsourcing an Dritte und dem Outsourcing ins Ausland auf eigene Rechnung ergeben sich keine gravierenden Unterschiede zu dieser Analyse. In vielen Fällen sind die Gründe für die Fabrikation jenseits der Grenzen in einer eher allgemeinen Unzufriedenheit mit den Zuständen im Inland zu suchen und den auf dem Papier niedrigeren Kosten im Ausland. Bei dieser simplen Vergleichsrechnung werden oft die Komplexität der Auslandsfertigung, die Sprachbarrieren und die Know-how-Verluste unterschätzt. Durch die Trennung der Produktion von der Entwicklung und von den Kunden, die ja weiterhin im Inland sitzen, werden die Abläufe schwergängig, die Kosten steigen und die Reaktionsfähigkeit des Unternehmens auf Marktveränderungen sinkt. Die Zahl der Rückkehrer hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Sie hat sich bei den kleinen und mittleren Unternehmen fast verdoppelt. Auch die sich heute abzeichnende Flexibilität auf Seiten der deutschen Arbeitnehmer macht das Abwandern aus Kostengründen immer uninteressanter. Von Osram über VW bis zu Siemens wurden mit Flexibilisierungs-Strategien bereits deutliche Vorteile in der Produktion realisiert. Andere Gesetze gelten bei der Eroberung von Auslandsmärkten. Es ist selbstverständlich, dass ein Unternehmen mit Investitionen im Ausland die Stärke der Firma, die Sicherheit und die Zahl der Arbeitsplätze im Inland vergrößert. So werden bei VW durch die Auslandsfertigung von Motoren Kostenvorteile erzielt, die die Endmotage im Inland weiter profitabel erscheinen lassen. Direkte Auswirkungen ergeben sich auch bei der Beschäftigung. Allein der Landesverband Nord des VDMA rechnet mit einem Bedarf von 7000 Ingenieuren für den Einsatz in ausländischen Projekten der Mitgliedsfirmen. Daimler-Chrysler- Chef Jürgen Schrempp hat die Bedeutung der ausländischen Aktivitäten für die inländische Beschäftigung hoch angesetzt. Nach seiner Rechnung sichern drei Jobs im Ausland einen im Inland ab. Der Trend stärkt die Produktion Eine Reihe starker Trends auf den Märkten lassen das Outsourcing heute noch gefährlicher erscheinen, als es bisher schon war. Wir haben es, insgesamt gesehen, mit einer Beschleunigung der Ereignisse zu tun. In der Mode, in der Unterhaltung, bei den Medien-Inhalten, bei den Autos, den Partnerbeziehungen und in vielen anderen Bereichen werden die Verfallzeiten immer kürzer. Die Beschleunigung des Wandels ist ein wesentliches Merkmal der Postmoderne. Was sich so harmlos anhört, hat für die Produktion gravierende Folgen. Denn die wöchentlich neue Mode bei Zara, der Mercedes für die nächste Nische und das Telefon zum Fotografieren müssen ja erst einmal produziert werden. Die vom Markt geforderte und vom Marketing geförderte Vielfalt setzt die Produktion massiv unter Druck. Daimler-Benz war noch vor wenigen Jahren ein Unternehmen mit lediglich zwei Produktlinien. Heute sind es mehr als zehn. Die Zahl der Anlaufprozesse steigt bei dieser Vielfalt steil an. Die bisher übliche Fehlerhäufung am Anfang der Lernkurve muss gesenkt werden. Die immer schwierig zu beherrschenden Anlaufprozesse wird es in Zukunft überhaupt nicht mehr geben. Die Produktion muss sofort und fehlerfrei auf Touren kommen. Diese Art der Beschleunigung ist mit einer Vielzahl von Partnern, wenn überhaupt, nur ungleich teurer zu bewältigen als in einem kompakten Prozess an einem Ort. Das bedeutet in der Produktion ganz einfach, dass Fertigungstiefe wieder sehr gefragt sein wird. Der Hersteller muss eingespielte Teams von Spezialisten vorhalten. Jederzeit einsetzbar, können sie die ständige Umstellung der Produktion realisieren und kontrollieren. Die Erfahrung der Mannschaft hat bei dicht aufeinander folgenden Anläufen einen immensen Stellenwert. Die Komplexität des Prozesses wird nur durch ständig anwesende Spezialisten für jede kritische Stelle beherrschbar. Die Kehrseite der Beschleunigung ist die Zunahme der Volatilität. Auf gesättigten Märkten kann die Nachfrage auf Grund irgendwelcher Ereignisse irgendwo in der Welt von einem Tag auf den anderen zusammenbrechen. Oft folgt die Erholung auf dem Fuß. Es kommt zu einem ständigen auf und ab bei den nachgefragten und zu produzierenden Produkten. Die Zunahme der Volatilität spricht wiederum für mehr Fertigung in einer Hand. Zwar kann das Unternehmen durch entsprechende Klauseln, wie etwa production on demand, seine Outsourcing-Partner mit den Risiken der Volatilität belasten. Doch es kann nicht verhindern, dass der Outsourcer die Nachfrageschwankungen nicht überlebt. Dann sitzen beide in der Tinte. Die Risiken der Volatilität können mit einer breit aufgestellten Produktion besser abgefedert werden, als in einem System, in dem viele Partner jeweils von der Produktion eines einzigen Teiles abhängig sind. Um die Gefahr zu bannen, muss der Hersteller Partner auswählen, die nicht nur von ihm abhängen. Ein weiterer Trend, der gegen Outsourcing spricht, ist die zunehmende Bedeutung des Konzeptwettbewerbes. Aus der Autobranche stammt das Vorgehen, für die Zulieferung etwa eines Frontends nicht mehr einzelne Anbieter für Lampen, Spoiler, Kotflügel und Stoßstange um die beste Lösung konkurrieren zu lassen. Man schreibt viel mehr das ganze Bauteil aus und lässt die wenigen Anbieter, die für den kompletten Job noch in Frage kommen, in einem Konzeptwettbewerb antreten. Die Folge ist, dass unbedeutende Zulieferer in die dritte Reihe abgedrängt und im Lauf der Zeit von der größeren Konkurrenz übernommen werden. Wenn jetzt auch Firmen des Maschinenbaus und anderer Branchen zum Konzeptwettbewerb gezwungen werden, wird umfassendes Know-how wieder einen hohen Stellenwert gewinnen: Wirklich konkurrieren kann nur der Anbieter, der bei der Ausschreibung nicht auf das Wissen seiner Zulieferer angewiesen ist. Und das ist in der Regel der Produzent mit einer angemessenen Fertigungstiefe. Die Lösung des Problems Es ist eine traurige Wahrheit, dass deutsche Unternehmen in der Vergangenheit bei ihren Produkten einen hohen Innovationsaufwand betrieben und dabei die Produktion vernachlässigt haben.

Innovationen in der Produktion schaffen

Neue Werkstoffe, neue Features und neues Design stehen bis heute bei den Produkten im Vordergrund. Wenn von Entwicklung und Forschung die Rede ist, wird automatisch die Produktentwicklung assoziiert. Die Entwicklung der Produktion wurde im Gegensatz dazu vernachlässigt. Es gibt außerhalb der Chemiebranche wohl kein einziges Unternehmen in Deutschland, dass für Innovationen in der Produktion nur annähernd so viel Aufwand betreibt wie für die Entwicklung der Produkte. Dies ist eine klare Fehlentwicklung. Die Innovation in der Produktionstechnik, die Verbesserung der Prozesse, die Ausschaltung von Blindleistung und die ständige Weiterentwicklung von Mitarbeitern und Materialien sind zumindest genau so wichtig, wie die klassische Produktinnovation. Dies gilt heute noch mehr. Durch die Aufwertung der Produktion als zentraler Wertschöpfer wird die Umsetzung von Innovationen in der Fertigung deutlich wichtiger. In Zukunft werden die besten Unternehmen ihre Produktion so aufwändig und so systematisch wie ihre Produkte entwickeln und ständig erneuern. Das Design der Wertschöpfungsketten wird eine strategische Aufgabe der Unternehmensführung sein. Es ersetzt die bisherige einseitige Ausrichtung auf die Freisetzung von Kapital und das Outsourcing von Teilen der Produktion. Die Produktion wird zu einer Kernkompetenz der Unternehmen. Die Abkehr von der noch vorherrschenden Lehre vom kapitalarmen Unternehmen kann nicht nur die Kosten senken, die Renditen erhöhen und schnelle Reaktion auf Marktveränderungen ermöglichen. Sie bringt einen weiteren und nicht unerheblichen Vorteil: Die effiziente Gestaltung der Produktionsprozesse kann von der Konkurrenz nicht ohne Weiteres kopiert werden. Vorteile, die auf der Gestaltung des Wertschöpfungsprozesses beruhen werden dem Unternehmen auf Grund der Komplexität der gefundenen Lösung einen dauerhaften Vorsprung vor der Konkurrenz sichern. Eine Welt, in der jedes Produkt und jede Produkteigenschaft praktisch schon kopiert ist, wenn es auf den Markt kommt, ist dieser Vorteil von großer Bedeutung. Das selbstproduzierende Unternehmen kann seine Geheimnisse besser hüten als ein Netzwerkunternehmen, in dem das Know-How bei den Partnern liegt. Eine Fertigungstiefe von 25 bis 40 Prozent ist ein ungefährer Richtwert für ein angemessenes Maß. Es ist die Kunst der Unternehmensführung herauszufinden, was und wie tief die eigene Fertigung übernimmt. Es wird natürlich unterschiedliche Lösungen geben. Es wird mehr Individualität in den Produktionsprozessen geben. Doch in allen Fällen gilt, nach Jahren der Vernachlässigung der Produktion sind deutliche Verbesserungen greifbar. Es ist verblüffend, welche Reserven in der Produktion stecken. So konnten bei einem LKW-Hersteller die Anzahl der Bauteile von 120 000 auf 25 000 gesenkt werden. Gleichzeitig wurde die Vielfalt für den Kunden erhöht: Statt drei Baureihen, sind es jetzt sechs; statt 40 000 gibt es jetzt 60 000 Endvarianten. Einfachheit und Standardisierung in der Produktion sind also durchaus mit einer Steigerung der Vielfalt gegenüber dem Markt zu verbinden. Den Vorteil haben die Kunden und die Kasse des Herstellers. Ein weiterer Schwachpunkt ist die Trennung von Entwicklungsabteilung und Produktion. Durch das anspruchsvolle Vorgehen der Entwickler, einfach immer nur das Beste neu zu gestalten, wird immenses Geld benötigt. In der Autoindustrie hat Toyota weltweit mit die höchste Rendite aller Hersteller. Warum? Weil Toyota grundsätzlich neue Modelle auf den Fähigkeiten seines Produktionssystems aufbaut. Man muss kein Rechenkünstler sein, um eine Vorstellung davon zu bekommen, welche Milliardenbeträge bei Toyota gespart werden. Die Praxis hat erkannt, dass Entwicklung und Produktion viel enger zusammenrücken müssen, als in der Vergangenheit. Audi-Manager Heizmann sagt warum: „Das größte Potenzial liegt darin, Entwicklung und Produktion schon in der Konzeptphase eng abzustimmen. Zugleich müssen wir ein Modell so entwerfen, dass sich daraus ohne großen Zusatzaufwand Varianten und verschiedene Karosserieformen bilden lassen.“ Denn: Der Markt verlangt nach einem ständigem Fluss von Varianten. Wenn dann noch die ständige Verbesserung der Produktion als Hauptfach behandelt wird, ist viel erreicht: Das Unternehmen kann sich auf eine Zukunft voller Wertsteigerung freuen. Auch den Mitarbeitern soll es recht sein. Denn die Aufwertung der Produktion kommt der Sicherheit der Arbeitsplätze genau so zu Gute wie der Bilanz des Unternehmens.

VorherigeNächste