[10.06.2010]
Die Rahmenbedingungen im Bereich regenerativer Energien ändern sich derzeit stark. Zum einen entwickeln sich die Marktbedingungen in verschiedenen Regionen der Welt sehr unterschiedlich. Zum anderen erhöht sich der Wettbewerbsdruck durch den Angriff neuer Konkurrenten massiv, vor allem aus Asien. Um den sich wandelnden Marktverhältnissen standhalten und die Wettbewerbsfähigkeit aufrechterhalten zu können, sind Hersteller von Windkraftanlagen gezwungen, durch eine systematische Vorgehensweise die Produktkosten zu reduzieren. Mit Hilfe der Produktklinik können Maßnahmen zur Kostenreduzierung auf Basis regionaler Kundenanforderungen und eines Wettbewerbs-Benchmarking erarbeitet werden. Die Produktklinik kann dabei helfen Know-how und industrielle Methoden aus anderen Branchen auf die Unternehmen regenerativer Energien zu übertragen.
Die Marktbedingungen in dem noch jungen Sektor der regenerativen Energien entwickeln sich derzeit in verschiedenen Regionen der Welt sehr unterschiedlich. Während beispielsweise Investitionen in Offshore-Windparks vor den Küsten Europas aufgrund der weltweiten Finanzkrise zurückgestellt werden, entwickeln sich in China und Indien neue Märkte für Windkraftanlagen. Die Märkte in Asien versprechen für die kommenden Jahre ein Vielfaches des Markpotentials der etablierten Märkte (Europa und Nordamerika). Zum anderen treten neue Wettbewerber vor allem aus Asien auf, die die etablierten Hersteller aus dem Westen mit Macht angreifen. Sowohl bei den zukünftigen Marktanteilen der weltweiten Windkraftindustrie als auch hinsichtlich der Herkunft der neuen, aggressiven Wettbewerber spielen insbesondere China und Indien eine herausragende Rolle.
Außerdem verändern sich auch die Strukturen und Anforderungen der Kunden. Der Markt für Windkraft verschiebt sich von einem Verkäufer- hin zu einem Käufermarkt. In den vergangenen Jahren waren Geschäfte im Bereich regenerativer Energien häufig durch staatliche Subventionen gestützt, z.B. durch Steuerentlastungen für die Betreiber, um Anreize für eine Erhöhung des Anteils regenerativer Energien zu fördern. Diese Situation ändert sich derzeit weltweit hin zu einer eher lebenszyklus-orientierten Betrachtungsweise. Energieunternehmen achten nun vermehrt darauf, dass sie Windkraftanlagen mit hoher Effizienz und permanenter Verfügbarkeit einsetzen können. Doch genau in diesem Punkt befinden sich westliche Hersteller von Windkraftanlagen in einem Dilemma: Einerseits müssen sie mit extrem niedrigen Marktpreisen (Investitionskosten für die Betreiber) in den neuen Märkten in Asien konkurrieren, andererseits erwarten viele Kunden aber auch möglichst günstige Betriebskosten – natürlich möglichst bei gleichbleibend hoher Qualität. In diesem Zusammenhang sind die Produkte neu zu gestalten, um im Spagat einen Mittelweg zwischen investitionskosten- (CAPEX – Capital Expenditure) und betriebskosten- (OPEX – Operational Expenditure) orientierten Produktstrategien zu finden.
Die Produktklinik bietet hierfür eine systematische Vorgehensweise, um durch eine stringente Neuausrichtung die Produktkosten zu reduzieren. Mit Hilfe eines strukturierten Wettbewerbs-Benchmarking, insbesondere mit Windkraftanlagen neuer Wettbewerber aus Asien, können mittels der Methodik der Produktklinik Maßnahmen zur Kostensenkung erarbeitet werden. Dabei wird auf detaillierter Funktions- und Komponenten-Bauteilebene systematisch hinterfragt, an welcher Stelle das eigenen Produkt im Vergleich zu den Wettbewerbern Over-Engineering aufweist. Typische Ansatzpunkte sind dabei beispielsweise technische Entfeinerungen durch niedriger ausgelegte Materialspezifikationen und Oberflächenbehandlungen (teilweise möglich aufgrund anderer klimatischer Verhältnisse als in den bisherigen Märkten) sowie der Entfall bestimmter Produktfeatures wie Elektronik und Automatisierung, die in Asien aufgrund günstig verfügbarer Arbeitskräfte nicht unbedingt erforderlich sind. Neben direkten Wettbewerbsprodukten können auch Workshops zum externen Erfahrungsaustausch mit Ingenieuren aus anderen Branchen, die mit ähnlichen Herausforderungen in Asien zu kämpfen haben, in die Produktklinik integriert werden.
Ein weiterer wichtiger Hebel zur Reduzierung der Produktkosten sind Ansätze des Global Sourcing. Dabei reicht es jedoch nicht mehr aus, ausgewählte Bauteile oder Komponenten in Niedriglohnländern fertigen zu lassen. Dies wird von zahlreichen Zulieferern sowieso bereits gemacht (zumindest teilweise). Es reicht auch nicht mehr, die Herstellung einfacher Stahlbauteile nach Asien zu verlagern. Zunehmend sind auch qualitativ immer besser werdende asiatische Lieferanten für komplexere und große Komponenten des Maschinen- und Anlagenbaus identifizierbar. Häufig haben diese Unternehmen in den vergangenen Jahren durch Kooperationen mit westlichen Partnern gelernt und wollen nun ihre Marktanteile erweitern. Davon sollten nun wiederum zunehmend auch europäische Unternehmen profitieren. Auch diese Aspekte werden im Rahmen einer Produktklinik durch eine konsequente interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen den Bereichen Entwicklung, Einkauf, Produktion und Qualität berücksichtigt.
Durch die Integration einer Conjoint Analyse können zudem die (häufig bisher völlig unbekannten) spezifischen Kundenanforderungen in den neuen Märkten in Asien identifiziert und bei der Neugestaltung des Produktes berücksichtigt werden. Beispielsweise ist zu klären, ob für asiatische Betreiber von Windkraftanlagen vollautomatische Monitoringsysteme (zur Vermeidung unnötiger Stillstandszeiten) erforderlich sind, wenn günstige Servicetechniker rund um die Uhr im Windpark verfügbar sind, die die Kontrolle des reibungslosen Anlagenbetriebs sowieso permanent durchführen.
Insgesamt lässt sich die Produktklinik also als wirkungsvolles Instrumentarium einsetzen, um die Produktkosten zu reduzieren und die Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig zu steigern. Nur so können europäische Unternehmen sich für den zunehmenden Wettbewerbsdruck aus Asien rüsten und gleichzeitig ihre eigenen Produkte für einen Eintritt in vielversprechende und stark wachsende Märkte wie China und Indien vorbereiten.