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Schnittstellenübergreifende Prozessanalyse im Anlagenbau

[24.07.2013]

Foto: yoshitaka / fotolia.com
Das Erfolgspotenzial ganzheitlicher Prozessoptimierungen basiert auf mehreren Faktoren. Einer davon ist die Durchführung einer sorgfältigen Ist-Analyse bestehender Prozesse und Strukturen zur Schaffung einer sicheren Absprungbasis für die nachgelagerte Prozessoptimierung. Dabei sollte auch der „Blick über den Tellerrand“ erlaubt sein, wie ein Beispiel aus der produzierenden Industrie zeigt.

Blick nach vorne: „Wir müssen besser werden“

Die beschriebene Fallstudie charakterisiert einen produzierenden Standort einer global tätigen Firmengruppe mit Schwerpunkt auf der Herstellung und dem Vertrieb von In­ves­ti­ti­ons­gü­tern im Bereich Maschinen- und Anlagenbau. Der Jahresumsatz des untersuchten Standorts trägt ungefähr 12% zum Umsatz der kompletten Gruppe bei.

Um die Wettbewerbsposition im stetig wachsenden Markt mittel- bis langfristig ausbauen zu können, wurden vom Management ambitionierte Wachstumsziele vorgegeben, die es in den einzelnen Standorten der Gruppe zu realisieren gilt. Diese Ziele sollen möglichst kostenneutral, d.h. ohne das übermäßige Anwachsen der Organisation erreicht werden. Hierbei stellte sich heraus, dass es bereits mit der gegenwärtigen Auslastung zu Kapazitätsengpässen in direkten wie in­di­rek­ten Bereichen des Standorts kam. Besonders in der Auftragsabwicklung herrschte Pla­nungs­hek­tik, Intransparenz und eine gefühlte Mehrbelastung durch Doppelarbeiten vor. Dies führte zu einer erhöhten Durchlaufzeit von durchschnittlich zwei Wochen pro Auftrag, wobei diese Zeiten häufig sogar noch überschritten wurden. Obwohl mehrere Probleme und Unzulänglichkeiten im Prozess als „Verdächtige“ für die hohen Durchlaufzeiten und die konstant hohe Auslastung in Frage kamen, blieben genaue Ursache-Wirkung-Zusammenhänge unklar. Der Geschäftsleitung des Standorts war jedoch bewusst, dass mit den bestehenden Prozessen eine Realisierung der Wachs­tums­zie­le kaum möglich sein würde. Deshalb sollten im Zuge einer umfassenden Prozessoptimierung Bearbeitungs- und Liegezeiten drastisch gesenkt und die Prozess-Performance signifikant erhöht werden. Da bisher nur sporadisch Prozesse aufgenommen und dokumentiert wurden und im Rahmen der angedachten Prozessoptimierung eine vertiefte Ver­an­ke­rung des Pro­zess­ver­ständ­nis­ses aller Beteiligten erzielt werden sollte, wurde vom Management eine detaillierte Prozessanalyse zur Vorbereitung der Optimierungsphase angestoßen. Damit sollten nicht nur Defizite im Ist-Prozess aufgeführt, sondern auch priorisierte Handlungsempfehlungen abgeleitet werden.

Schnittstellenübergreifende Prozessanalyse als Erfolgsfaktor

Nach einer Sichtung bestehender Dokumente, Arbeitsanweisungen und Prozessdokumentationen wurde klar, dass eine detaillierte Prozessaufnahme auf dem weißen Papier durchgeführt werden muss, um eine solide Basis für die anschließende Analysephase bereitzustellen. Hierfür wurde mit einem vorab gebildeten Projektteam aus der Auftragsabwicklung und relevanter Schnitt­stel­len der bisherige Order Management Prozess mit allen Sub-Prozessen als Flow-Chart im Detail aufgenommen. Hierbei wurde auch berücksichtigt, dass nicht nur die anfallenden Tätigkeiten, sondern auch die hierfür verantwortlichen und weitere beteiligte Organisationseinheiten sowie die verwendeten IT-Systeme und weitere Hilfsmittel strukturiert aufgelistet wurden. Darüber hinaus wurden in einem revolvierenden Prozess die In- und Outputs jedes Prozessschrittes aufgeführt, um verwendete Dokumente und Software sowie Schnittstellen zu anderen Organisationseinheiten wiederzugeben.

Auf Basis dieser Arbeiten wurde mit der Analyse von Problemen und deren Ursache bzw. Treibern fortgefahren. Neben generellen Defiziten, wie einem mangelnden Prozessverständnis bei den Mitarbeitern und fehlenden Dokumentationen und Arbeitsanweisungen konnte die fehlende Durchgängigkeit eines zeitgemäßen IT-Supports festgestellt werden. Aufgrund von Systembrüchen in der IT-Landschaft mussten relevante Informationen händisch von einem System in das andere übertragen werden, was nicht nur ein hohes Fehlerrisiko sondern auch eine deutlich erhöhte Bearbeitungszeit mit sich zieht. Ähnliche Probleme bereitete die undurchgängige ERP-Un­ter­stüt­zung, welche den Haupttreiber für die hohe Intransparenz im Auftragsabwicklungs- und Pro­duk­ti­ons­pro­zess darstellte. Zudem wurde ersichtlich, dass ein Großteil der Liegezeiten auf Rück­kopp­lungs­schlei­fen zur technischen Klärung von Aufträgen mit dem Vertrieb zurückzuführen war. Da viel Aufträge nur unvollständig geklärt in die Auftragsabwicklung eingesteuert wurden, musste häufig weiteres Feedback zur vollständigen Klärung eingeholt werden. Somit wurde schnell ersichtlich, dass auch eine Analyse des Vertriebsprozesses nötig wurde, um eine nachvollziehbare Aufnahme von organisationalen und prozessualen Schnittstellen, In- und Outputs sowie der geleisteten Sys­tem­un­ter­stüt­zung zu gewährleisten. Dieser „Blick über den Tellerrand“ ermöglichte eine ganzheitliche Untersuchung der interorganisationalen Schnittstellen, des Systemeinsatzes und der zielgerichteten Identifikation von Ursachen für die späteren Probleme im Auf­trags­ab­wick­lungs­pro­zess. Die vorab eher qualitativ getätigten Aussagen zur Liegezeit der Aufträge während der Abwicklungsphase wurden durch eine Aufnahme der Bearbeitungs- und Liegezeiten plausibilisiert. Aufgrund der fehlenden Durchgängigkeit des ERP-Systems wurden manuell auszufüllende Lauf­zet­tel verteilt, deren Messergebnisse sich mit den Erfahrungen der Experten deckten. Neben technischen und prozessualen Schwachstellen wurden auch organisatorische Defizite he­raus­ge­ar­bei­tet, die sich negativ auf die effiziente Bearbeitung der unterschiedlich komplexen Aufträge auswirkten.

Alle identifizierten Probleme wurden im weiteren Verlauf zu ähnlich wirkenden Problembündeln gruppiert. Im Anschluss wurden diese übergeordneten Problem-Cluster nach Häufigkeit, Auswirkung und Ri­si­ko bewertet und potenzielle Gegenmaßnahmen auf hohem Aggregationsniveau gebildet. Diese prozessualen, organisatorischen und IT-spezifischen Maßnahmen wurden im Anschluss für die weitere Bearbeitung priorisiert und durch das Management der Firmengruppe bestätigt. Somit konn­te auf Grundlage einer strukturierten und zielführenden Prozessanalyse die Erstellung der zukünftigen Soll-Prozesse deutlich erleichtert und beschleunigt werden. Denn die vorab er­ar­bei­te­ten Analyseergebnisse und Verbesserungsmaßnahmen flossen direkt und ungefiltert in die direkt im Anschluss folgende Prozessoptimierung ein.

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